AN GOECKINGK
Nun, nun! Verschütt' Er
nur nicht gar
Das Kindlein samt dem Bade!
Das arme Kindlein
das! Für wahr!
Es wär' ja jammerschade.
Denn, sieht Er, trotz der
Plackerei,
Beim Zeugen und Gebären,
Mag doch die edle
Reimerei
Auch viel Profit bescheren.
Trotz Sing und Sang von
Cypripor 1
,
Apoll, Achill und Hektor,
Bleibt man zwar Amtmann, nach wie
vor,
Auch - Herr Kanzleidirektor.
Denn leichter wird Vokation
2
Zu
Pension und Pfründen
Die kahlste Dissertation,
Als Iliaden
finden.
Auch mästet man sich eben
nicht
Von Mäzenaten-Gnade;
Trägt
Abcbuchs-Angesicht
Und Schlotterbauch und Wade.
Die Herren von der
Klerisei,
Und aus dem edlen Rate
Verschmelzen mehr in Supp' und
Brei,
Und prunken baß im Staate.
Doch neid' ich nicht das
Bonzenheer
Um seine dicken Köpfe.
Die meisten sind ja hohl
und leer,
Wie ihre Kirchturmknöpfe.
Doch - Spaß bei Seite! -
Hör' Er an,
Falls ihm mein Ernst beliebig!
Ist denn nicht
auch für ihren Mann
Poeterei ergiebig?
Bedenk' Er nur, wie schön
das ist!
Verleger, wohlgezogen,
Bezahlen oft, zu dieser
Frist,
Mit Louisd'or den Bogen.
Wächst nun im zehnten
sauern Jahr
Zehn Bogen stark Sein Bändchen,
So schnappt Er
ja an Trankgeld bar
Zehn Blinde, ohne Rändchen.
Das heißt doch nicht für
Katzendreck
Sich müd' und lahm kasteien.
Soll denn so viel
gebratner Speck
Umsonst ins Maul Ihm schneien?
Herr Ugolino 3
muß doch auch,
Nebst Weib und Kind und Gästen,
Nach
altem hergebrachten Brauch
Von unserm Hirn sich mästen.
Steht der gelahrte Fakultist
4
Dagegen
doch viel kahler.
Dem setzt es kaum, wenn's köstlich
ist,
Zwei Gulden oder Taler.
Drob ärgern sich nun
freilich haß
Die Herren Fakultisten,
Und sticheln Ihm
ohn' Unterlaß
Brav auf die Belletristen.
Manch Herr Professor kriegte
schon
Vor Kummer graue Haare,
Daß mehr jetzt gilt ein
Agathon,
Als Fakultäten-Ware.
Der Ruhm hat freilich große
Last
In diesem Jammerleben,
Wie du davon zum Sprechen hast
Ein
Konterfei gegeben.
Doch nach dem Tode geht's erst
an!
Denn auch bei den Tongusen,
Nach tausend Jahren, ehret
man,
So Gott will! unsre Musen.
Dort illustriert man fein aus
uns
Antiquitäten-Listen.
Uns liest manch hochberühmter
Duns
Gelahrter Humanisten;
Die jetzt aus ihrem
Bücherschrein
Verächtlich uns verschieben,
Weil wir
nicht griechisch und Latein
Und nicht arabisch schrieben.
Dort preist man unsre
Opera
Durch Kommentationen 5
,
Inaugural-Programmata
Und Dissertationen 6
.
Schon hör' ich
Krittler-Mordgeschrei
In meinem stillen Grabe:
Wer die Lenore
doch wohl sei?
Ob sie gelebet habe?
Man bringt, bald
chrestomathice 7
Uns
winzig klein in nucem 8
,
Bald kommentiert cum Indice 9
In
Folio ad lucem 10.
Wie schön, wenn Knaben,
jung und alt,
In jenen goldnen Tagen,
Zur Schul', in Riemen
eingeschnallt,
Mich alten Knaster tragen!
Aus mir Vokabeln wohlgemut
Und
Phrases memorieren,
Um mich so recht in Saft und Blut,
Ut
ajunt, zu vertieren 11
?
Und geht's nicht mit der
Lektion
Und mit dem Exponieren 12
,
Dann wird's gar schlecht im Hause stohn.
Der Junker muß
karieren 13
!
Sieh, was die Reimerei
beschert,
Die Du vermaledeiet!
Das ist doch wohl der Federn
wert,
Die man darum zerkäuet? - -
Nur eine Angst vergällt
den Ruhm,
Den ich mir phantasiere,
Daß einst nicht, wie
Horatium,
Mich Hans und Kunz vertiere.
1Cypripor - Amor
2Vokation - Berufung
3Ugolino - der Verleger des Erzbischofs Ruggieri in Dantes Hölle
4Fakultist - Fakultätsgelehrter
5Kommentationen - Kommentare
6In., Dis. - wissenschaftliche Arbeiten
7Chrestomatie - Sammlung
8in nucem - eine kleine Ausgabe
9cum Indice - mit Register und Verzeichnis
10ad lucem - ans Licht
11vertieren - übersetzen
12exponieren - erklären
13karieren - Karriere machen