NEUE WELTLICHE HOCHDEUTSCHE REIME,
enthaltend
die ebenteuerliche doch wahrhaftige Historiam von der wunderschönen
Durchlauchtigen Kaiserlichen Prinzessin Europa
und einem
uralten beidnischen Götzen, Jupiter item Zeus genannt, als
welcher sich nicht entblödet,
unter der Larve eines
unvernünftigen Stieres, an höchstgedachter Prinzessin
ein
crimen raptus, zu deutsch: Jungfernraub auszuüben.
Also
gesetzet und an das Licht gestellet durch M. Jocosum Hilarium 1Poet.
caes. laur.2
Vor Alters war ein Gott,
Von nicht
geringem Ruhme,
Im blinden Heidentume.
Nun aber ist er tot.
Er
starb - - post Christum natum 3-
-
Ich weiß nicht mehr das Datum.
Der war an Schelmerei
Das Weibsen zu
betrügen,
Von dem Papa der Lügen
Das echte
Konterfei;
Und kurz, auf alle Fälle,
Ein lockerer Geselle.
Ich hab' ein altes Buch,
Das tut von
ihm berichten
Viel schnurrige Geschichten,
Worin manch Stutzer
g'nug
Für seinen Schnabel fände,
Wenn er Latein
verstände.
Mein unverdroßner Mund
Soll,
ohne viel zu wählen,
Nur einen Kniff erzählen.
Denn
tät' ich alle kund,
So wäre zu besorgen,
Ich säng'
bis übermorgen.
Eu'r Batzen soll euch nicht,
Geehrte
Herrn, gereuen.
Mein Liedel soll euch freuen! -
Doch ihr dort!
Schelmgezücht!
Kroaten 4,
hintern Bänken! -
Laßt nach mit Lärm und
Schwänken!
Heda! Hier nichts gegeckt 5,
Ihr
ungewaschnen Buben!
Narriert in andern Stuben,
Nur mich laßt
ungeneckt!
Sonst hängt euch, schnaps! am Munde
Ein Schloß;
wiegt tausend Pfunde.
Ha, das Donatgeschmeiß! 6
Kaum
hört und sieht's was Neues,
So hat es gleich Geschreies,
So
puppert Herz und Steiß.
Geduld! Man wird's euch zahlen,
Euch
dünnen Schulpennalen! 7
Traut nicht! Es regt sich hie,
In
meinem Wolfstornister,
Der Kuckuck und sein Küster -
Ein
Kobolt - heißt Genie.
Dem schafft's gar guten Frieden,
Wem
Gott solch Ding beschieden.
Laßt ja den Griesgram gehen!
Er
weiß euch zu kuranzen; 8
Läßt
euch wie Affen tanzen,
Und auf den Köpfen stehn;
Wird euch
'mal begenien,
Daß euch die Steiße glühen. -
Doch ihr, Kunstjüngerlein!
Mögt
meine Melodeien
Nur nicht flugs nachlalleien.
So leicht lallt
sich's nicht 'nein.
Beherzigt doch das Dictum:9
Cacatum
non est pictum. - - - 10
Eu'r Batzen soll euch nicht,
Geehrte
Herrn, gereuen.
Mein Liedel soll euch freuen!
Nun schaut mir
ins Gesicht!
Merkt auf mit Herz und Sinnen!
Will endlich mal
beginnen. -
Zeus wälzt' im Bette sich,
Nachdem
er lang gelegen,
Wie Potentaten 11 pflegen,
Und
fluchte mörderisch:
»Schon trommelt's zur Parade!
Wo
bleibt die Schokolade?«
Gleich bringt sie sein Lackei;
Bringt
Schlafrock, Toffeln 12,
Hose,
Schleppt Pfeife, Knasterdose 13
Nebst
Fidibus herbei.
Denn morgens ging kein Mädchen
Gern in
sein Kabinettchen.
Er schlürft' acht Tassen aus;
Hing
dann, zum Zeitvertreibe,
Sich mit dem halben Leibe
Zum
Himmelsfenster 'naus,
Und schmauchte frisch und munter,
Sein
Pfeifchen Knaster 'runter.
Und durch sein Perspektiv 14
Visiert'
er von dem Himmel
Nach unserm Weltgetümmel.
Sonst mochten
wohl so tief
Die abgeschwächten Augen
Nicht mehr zu sehen
taugen.
Da nahm er schmunzelnd wahr,
Auf
schönbeblümten Auen,
Gar lieblich
anzuschauen,
Vergnügter Mägdlein Schar,
Die auf dem
grünen Rasen
Sich Gänseblümchen lasen.
Die Schönste war geschmückt
Mit
einem leichten Kleide,
Von rosinfarbner Seide,
Mit Fadengold
durchstickt.
Die andern aber schienen
In Demut ihr zu dienen.
Die niedliche Gestalt,
Die schlanken
zarten Glieder
Besah er auf und nieder.
Ihr Alter er gar
bald
Recht kunstverständig schätzte,
Und es auf
Sechzehn setzte.
Zum Blumenlesen war
Ihr Röckchen
aufgehoben.
Das Perspektiv von oben
Sah alles auf ein Haar.
Die
Füßchen, Knie' und Waden
Behagten Seiner Gnaden.
Sein Herzenshammer schlug.
Bald wollt'
er mehr gewinnen.
Da hub er an zu sinnen
Auf arge List und
Trug.
Ihn dünkt, sie zu erschnappen,
Sei's Not, sich zu
verkappen.
Er klügelt' und erfand,
Nach
schlauem Spintisieren,
Als Stier sich zu maskieren.
Doch ist
mir unbekannt,
Wie dieses zugegangen?
Und wie er's angefangen?
Ich mag um Schlaf und Ruh
Durch
Grübeln mich nicht bringen,
Allein mit rechten Dingen
Ging
solches Spiel nicht zu.
Es half ihm, sonder Zweifel,
Gott sei
bei uns! +++ der Teufel.
Kurz um, er kömmt als Stier,
Und
graset im Gefilde,
Als führt' er nichts im Schilde,
Erst
ziemlich weit von ihr,
Und scheint den Frauenzimmern
Sich
schlecht um sie zu kümmern.
Allmählich hub er an,
Sich näher
an zu drehen.
Doch noch blieb sie nicht stehen.
Der Krepp wuchs
ihr bergan. 15
Auch
ward ihr in die Länge
Die Schnürbrust mächtig enge.
Doch hört nur! Mein
Monsieur
Verstand die fintenvolle
Vorherstudierte Rolle,
Wie
ich mein Abc.
War er Akteur ich wette,
Daß man
geklatschet hätte.
Er hatte Theorie
Mit Praxis wohl
verbunden.
In seinen Nebenstunden
Verabsäumt' er fast
nie,
Nasonis Buch 16
zu treiben,
Und Noten 17
beizuschreiben.
Drum tat der arge Stier
Sehr zahm und
sehr geduldig,
Schien keiner Tücke schuldig,
Und suchte
mit Manier,
Durch Kopfhang sich und Schweigen
Empfindsam gar zu
zeigen.
Das Mägdlein, durch den Schein
Von
Sittsamkeit betrogen,
Ward endlich ihm gewogen.
»Sollt'
er wohl kurrig 18
sein?«
Sprach sie zu ihrer Amme,
»Er gleicht ja
einem Lamme!«
Die alte Strunsel 19
rief:
»Ei! welche schöne Frage!
Nach alter deutscher
Sage,
Sind stille Wasser tief.
Drum, chère enfant 20
, drum bleibe
Dem bösen Stier vorn Leibe!« -
»Ich möchte«, fiel sie
ein,
»Ihrn wohl ein Kränzel binden,
Und um die
Hörner winden.
Er wird schon artig sein,
Wenn ich hübsch
traulich rabb'le 21
,
Und hinterm Ohr ihm krabb'le.« -
»Fort, Kind! da kömmt er! Ah!
... «
Doch er ließ sacht die Glieder
Ins weiche
Gräschen nieder,
Lag wiederkäuend da.
Sein Auge, dumm
und ehrlich,
Schien gänzlich nicht gefährlich.
Da ward das Mägdlein kühn,
Und
trieb mit ihm viel Possen,
(Das litt er unverdrossen)
Und ach!
und stieg auf ihn.
»Hi! Hi! Ich will's doch wagen,
Ob
mich das Tier will tragen?«
Doch der verkappte Gast
Empfand auf
seinem Rücken,
Mit krabbelndem Entzücken,
Kaum seine
schöne Last,
So sprang er auf und rennte,
Als ob der Kopf
ihm brennte.
Und lief in vollem Trab
Querfeldein,
schnurgerade,
Zum nächsten Meergestade,
Und hui! tat er
hinab,
Kein Weilchen zu verlieren,
Den Sprung mit allen Vieren.
»Ach!« schrien die Zofen,
»ach!«
(Die an das Ufer sprangen
Und ihre Hände
rangen)
»Ach! Ach! Prinzessin, ach!
Was für ein
Streich, Ihr Gnaden!
Nun han wir's auszubaden.«
Allein das arme Kind
Hub, zappelnd mit
den Beinen,
Erbärmlich an zu weinen:
»Ach! helft
mir! helft geschwind!«
Doch unser Schalk vor Freude
War
taub zu ihrem Leide.
Nichts half ihr Ach und Weh.
Sie mußte
fürbaß reiten.
Da gafft' auf beiden Seiten,
Janhagel
22
aus der See,
Und hub, ganz ausgelassen,
Hierüber an zu
spaßen.
Der Stier sprach nicht ein Wort,
Und
trug sie sonder Gnade
Hinüber ans Gestade,
Und kam in
sichern Port 23
.
Darob empfand der Heide
Herzinnigliche Freude.
Hier sank sie auf den Sand,
Ganz matt
durch langes Reiten
Und Herzensbangigkeiten,
Von Sinnen und
Verstand.
Vielleicht hat's auch dameben
Ein Wölfchen
abgegeben. 24
Mein Stier nahm frisch und froh
Dies
Tempo wahr, und spielte,
Als sie nicht sah und fühlte,
Ein
neues qui pro quo. 25
Denn
er verstand den jocus 26
Mit
fiat 27
hocus pocus.
Und trat als Kavalier,
In
hochfrisierten Haaren,
Wie damals Mode waren,
Mit dem Flakon 28
zu ihr,
Und hob, um Brust und Hüften,
Die Schnürbrust
an zu lüften.
Kaum war sie aufgeschnürt,
Kaum
kitzelt' ihre Nase
Der Duft aus seinem Glase,
So war sie auch
kuriert;
Drauf er, wie sich's gebührte,
Comme ça 29
mit ihr charmierte:
»Willkommen hier ins Grün!
Per
Dio! 30
das bejah' ich,
Mein blaues Wunder sah ich!
Woher, mein Kind,
wohin?
So weit durchs Meer zu reiten!
Und doch nicht
abzugleiten? -
Indessen freut mich's, hier
In meinem
schlechten Garten
Gehorsamst aufzuwarten.
Ma foi! 31
das ahnte mir.
Heut hatt' ich so ein Träumchen - - -
Auch
juckte mir das Däumchen.
Man zog Ihr wackres Tier,
Worauf Sie
her geritten,
Nachdem Sie abgeschritten,
Gleich in den Stall
von hier.
Da soll es, nach Verlangen,
Sein Futter schon
empfangen.
Sie werden, Herzchen, gelt?
Wohl noch
ein wenig frieren?
Geruhn Sie zu spazieren
In dieses
Lustgezelt,
Und tun in meiner Klause,
Als wären Sie zu
Hause.
Hier pflegen Sie der Ruh,
Und trocknen
sich, mein Schneckchen,
Ihr Hemde, samt dem Röckchen,
Die
Strümpfchen und die Schuh.
Ich, mit Permiß 32
, will Ihnen
Statt Kammermädchens dienen.« -
Sie sträubte jüngferlich
Sich
anfangs zwar ein wenig:
Doch er bat untertänig,
Und da
ergab sie sich.
Nun, hochgeehrte Gäste,
Merkt auf! Nun
kommt das Beste.
Hem! - - - Ha! Ich merke wohl
An euern
werten Nasen,
Daß ich mit hübschen Phrasen
Eu'r Ohr
nun kitzeln soll.
Ihr möchtet, um den Batzen,
Vor Lachen
gern zerplatzen.
Doch, teure Gönner, seht,
Was ich
dabei riskiere!
Wenn's der Pastor erführe,
Der keinen Spaß
versteht,
Dann wehe meiner Ehre! -
Ich kenne die Pastörel
-
Drum weg mit Schäkerei'n!
Von
süßkandierten Zoten
Wird vollends nichts
geboten.
Hilarius hält fein
Auf Ehrbarkeit und Mores 33
,
Ihr Herren Auditores. 34
In Züchten, wie sich's ziemt,
Weil,
mich vor langem Breie
In solchen Schosen scheue,
Meld' ich nur
kurz verblümt:
Hier tat mit seiner Schöne
Der Herr
sich trefflich bene. - 35
Nun schwammen mit Geschrei,
In langen
grünen Haaren,
Der Wassernixen Scharen
Hart an den Strand
herbei:
Zu sehen das Spektakel,
In diesem Tabernakel. 36
Manch Nixchen wurde rot;
Manch Nixchen
wurde lüstern;
Jen's neigte sich zum Flüstern;
Dies
lachte sich halb tot;
Neptun, gelehnt ans Ruder,
Rief: Prosit,
lieber Bruder!
Nun dank', o frommer Christ,
Im Namen
aller Weiber,
Daß dieser Heid' und Räuber
Bereits
gestorben ist.
Zwar - - - fehlt's auch zum Verführen
Nicht
an getauften Stieren.
1Magister Jocosum Hilarium - Magister Scherzhaft Fröhlich
2Poet caes. laur - kaiserlich gekrönter Dichter
3post Christum natum - nach Christi Geburt
4Kroaten - hier: ungezogene Kinder
5gecken - vorlaut schwatzen
6Donatengeschmeiß - Buchstabengelehrte. Donat verfaßte im 4. Jahrhundert eine lateinische Grammatik
7Schulpennalen - Schüler
8kuranzen - lat. quälen, plagen
9Dictum - lat. Ausspruch
10Cacatum ... - lat Geschissen ist nicht gemalt
11Potentaten - Fürsten
12Toffeln - Pantoffeln
13Knasterdose - Tabeksdose
14Perspektiv - Fernrohr
15der Krepp ... - das Busentuch hob sich
16Nasonis Buch - die ars amandi, (Die Liebeskunst) des Ovid
17Noten - Anmerkungen
18kurrig - störrisch, launisch
19Strunsel - von niedersächsisch strunzen = stolz einhergehen abgeleitet
20chère enfant - frz. liebes Kind
21rabbeln - plaudern, schwatzen
22Janhagel - niederländ. Lumpengesindel, Proletenpack
23Port - Hafen
24Wölfchen abgeben - einen Furz gelassen
25qui pro quo - lat. Verwandlung
26jocus - lat. Spaß
27fiat - lat. es geschehe
28Flakon - Parfümfläschchen
29comme ça - frz. folgendermaßen
30per dio - lat. mein Gott
31ma foi - frz. meine Treu
32mit permiß - mit Erlaubnis
33mores - lat. Sitten
34auditores - lat. Zuhörer
35bene - lat. gut
36Tabernakel - hier: Häuschen