Linz


Ich erwartete zu Passau das ordinäre 1 Wochenschiff von Regensburg und wollte mit demselben gerade nach Wien fahren. Die Schiffleute machten bei der größten Luftstille unter dem Vorwand eines bald zu erwartenden bösen Windes so oft halt, daß mir die Geduld ausbrach. Ich merkte wohl, daß es ihnen darum zu tun war, um an den kleinen Orten ihre Kontrebande 2 mit guter Art an Land zu bringen. Meine Reisegesellschaft hatte auch zu wenig Reiz für mich. Sie bestand aus einem Schwarm Handwerksbursche, die mit dem Rudern ihre Fracht bezahlen, und aus einer Menge Bauerndirnen, die zu Wien als Mägde unterkommen wollen. Einige derselben waren sichtbarlich in gesegneten Leibsumständen und schienen ihre Heimat verlassen zu haben, um in dem Spital zu Wien mit geringerer Schande, auf Kosten des Kaisers, entbunden zu werden. Österreich soll immerfort auf dieser Seite einen starken Zufluß von Bevölkerung dieser Art erhalten. Der ganze Troß samt den groben Schiffern war mir platterdings ungenießbar, und die Stadt Linz mit der Gegend umher lachte mich zu freundlich an, als daß ich nicht aussteigen und auf einige Tage nähere Bekanntschaft mit ihr machen sollte.


Zu Engelhartszell wurden wir visitiert. Alles geschah in der besten Ordnung und mit ziemlich viel Gelindigkeit. Man hatte einen ganzen Tag mit dem Plombieren der Waren unsers Schiffes zu tun. Es war mir ein unerklärliches Rätsel, wie die Schiffer ihre Kontrebande, von deren Dasein ich überzeugt war, durchbringen konnten; denn die Mautbedienten schienen mir eben nicht sehr geneigt zu sein, sich bestechen zu lassen. Auf meine Bücher richteten die Herren Visitatoren ganz vorzüglich ihre Aufmerksamkeit. Youngs 3 übersetzte "Nachtgedanken", die ich von einem armen Studenten zu Salzburg aus Erbarmen gekauft hatte, nahm man mir als ein verbotenes Buch weg, und Gibbons 4 Werke ließ man durchgehen. Der erste ist ein Christ bis zur Schwärmerei, und bloß der kleine Ausfall, den er wegen des Begräbnisses seiner Tochter - nicht gegen die Katholiken überhaupt, sondern bloß gegen die Stadt tut, die seinem Kind das Begräbnis versagte, hat ihn neben den Machiavells 5 , Spinozas, Bolingbrokes 6 und dergleichen mehr an den heiligen Pranger gebracht. Wie lächerlich wird der Index, wenn man offenbar sieht, daß öfters der bloße Titel sein Werk brandmarkt, und wenn man bedenkt, daß kein Zensurkollegium imstande ist, mit der ungeheuren Menge neuer Bücher, die in den kultivierten Sprachen unserer Zeit erscheinen, augenblicklich so bekannt zu sein, daß man ihnen sogleich auf die Grenze Steckbriefe entgegenschicken und den Eintritt in das Land wehren könne. Gibbon ist ein erklärter Feind der Religion und hat doch über Österreichs Grenze eindringen können. Ich höre zwar, daß man zu Wien die Bücher, welche den Zensoren fremde sind, nicht eher verabfolgen läßt, bis man sie ganz durchgelesen hat, aber ich werde die Herren dieser Mühe zu überheben wissen. - Vielleicht ist dies die einzige schwache Seite der kaiserlichen Regierung. - Es ist sehr unökonomisch gehandelt. Das Bücherverbot erhöht nur ihre Preise im Lande. In der Schweiz, zu Innsbruck, zu Salzburg und an andern Orten erfuhr ich, daß jährlich eine ungeheure Menge verbotener Bücher auf dieser Seite in die österreichischen Lande gebracht wird. Offiziers vom ersten Rang, Präsidenten und Räte sind bei diesem Schleichhandel interessiert, und das Verbot hat keine andre Wirkung, als daß z. B. Bayles 7 "Dictionnaire", welches sonst fünf Louisdor kostet, zu Wien mit hundert Taler bezahlt wird und um diesen Preis häufig genug zu haben ist. - Ohne Zweifel wird dieser Schleichhandel auf der sächsischen und schlesischen Grenze ebenso stark getrieben.


Sobald man den Fuß auf österreichischen Grund und Boden gesetzt hat, fühlt man lebhaft, daß ein ganz andrer Regierungsgeist das Land belebt. Die Wohnungen der Landleute, ihre Kleidung, ihre Gesichtszüge, der Anbau ihrer Güter: alles zeichnet sie zu ihrem Vorteil auffallend von den Bayern aus. Gestern sah ich hier einige Bauern in einspännigen Kaleschen zu Markte fahren, die völlig wie die reichern Pachter in England oder die nordholländischen Bauern aussehen. Ihr volles Gesicht, ihre ausgefütterten Pferde und das gute Geschirr sprachen von einem Wohlstand, die ihr langer brauner, aber doch sehr reinlicher Wollenkittel, ihre plumpen Schuhe ohne Schnallen und ihre großen abgekrempten Hüte nicht zu verraten schienen. Diese reichern Bauern nennt man hier Landler, und ihre beträchtliche Anzahl macht der Regierung viel Ehre. Überall erblickt man Spuren des Wohlstandes, und es ist mehr Sitte als dringende Armut, daß man besonders unter dem Titel 8 zur Aussteurung einer Braut oder eines Bräutigams von den Landleuten angebettelt wird. - Die großen abgekrempten grauen oder schwarzen Filzhüte lassen den hiesigen Bauernmädchen so wie ihre ganze Kleidung ungemein schön [erscheinen].

Oberösterreich ist gegen die befruchtenden West- und Südwinde von großen Bergen verschlossen, und auch dem reinigenden Nordwinde ist vom böhmischen Gebirge der Zugang erschwert. Nur der Ostwind hat durch einen Teil desselben freien Zug. Das sehr wasserreiche Land kann also nicht anders als sehr feucht sein. Der bergichte und waldichte Boden ist dem Ackerbau nicht sehr günstig, und sein Reichtum besteht hauptsächlich in der Viehzucht, in Salz und Obst, dessen Most den Mangel des Weines ersetzt.


Linz, die Hauptstadt dieses Landes, hat eine vortreffliche Lage. Auf dem Schloßberg, welcher auf der Westseite der Stadt liegt, beherrscht man eine prächtige Aussicht auf eine ungeheure Ebene zur Rechten der Donau, die gegen Süden von den himmelhohen steirischen Bergen geschlossen wird, deren Häupter oft über die Wolken emporragen. Jenseits der Donau, der Stadt gerade gegenüber, stellt sich ein ungemein schönes Amphitheater dar. Der Halbzirkel der schönen und hohen Berge, die es bilden, stößt an der Donau an. Der tiefe und weite Grund desselben ist dicht mit Dörfern und Höfen besäet, und auf den waldichten Abhängen der Berge nehmen sich einige Schlösser vortrefflich aus. Die majestätische Donau gibt dieser schönen Landschaft noch mehr Pracht, Leben und Mannigfaltigkeit.


Die Stadt ist sehr schön und fast durchaus von Steinen erbaut. Unter den 12.000 Einwohnern, die sie ohngefähr enthält, herrscht so viel Industrie, Geselligkeit und Wohlstand, daß mir die Erinnerung der bayrischen Städte im Abstich mit dieser anekelt. Es gibt hier einige sehr beträchtliche Manufakturen, und die Handlung der Stadt ist sehr ausgebreitet. Der ziemlich zahlreiche und gutgesittete Adel, die Offiziers der hier einquartierten Truppen und einige Professoren bieten die besten Gesellschaften dar. Die Stadt ist ganz offen, und das Ländliche ist nach meinem Geschmack so schön mit dem Städtischen vermischt, daß ich hier meine beständige Hütte aufschlagen würde, wenn mir mein irrender Rittergeist Ruhe gestattete. Der hiesige Adel besteht zwar bloß aus solchen Familien, deren Einkünfte zu eingeschränkt sind, als daß sie mit Anstand zu Wien leben könnten, aber dadurch ist man des imposanten Tones überhoben, womit der reiche deutsche Adel seine Gesellschaft so abschreckend macht.


Das hiesige Frauenzimmer ist mit den guten Manieren, der Lektüre und den gesellschaftlichen Situationen viel besser bekannt als die Bayerinnen und Schwäbinnen, die aber an Fleisch reichlich ersetzen, was ihnen an Geist gebricht. Man schreibt es dem Wasser und der feuchten Luft zu, daß hier das Rot auf den Wangen so selten ist und die sprechenden und einnehmenden Gesichtszüge des hiesigen Frauenzimmers den Fremden auf das Welke ihrer Körper nur noch aufmerksamer machen; allein ich glaube, die Hauptquelle des Übels liegt anderswo. Eine starke Besatzung ist selten der Gesundheit des Frauenzimmers zuträglich. - Die Kleidung der gemeinen Weibsleute ist die niedlichste, die ich je gesehen. Ihr Temperament scheint sehr reizbar zu sein, welches das Verwelken ihrer Körper beschleunigt.


Die Art, wie man die hier ankommenden Fremden behandelt, entspricht nicht dem sanften, menschenfreundlichen Ton, den sonst die österreichische Regierung annimmt. Man eskortierte uns wie Gefangene aus dem Schiff zur Hauptwache, und ich mußte über eine halbe Stunde in der stinkenden Stube stehen, bis der Offizier mit der Miene eines Inquisitors die Kundschaften 9 der Handwerksbursche durchschaut hatte und es ihm endlich beliebte, meinen Paß zu besichtigen. Es war ihm mehr darum zu tun, einen Rekruten zu werben, als sich und seine Obern durch gute Art den Fremden zu empfehlen. Ich hatte meine Tobaksdose in dem Schiff vergessen, und da ich wußte, daß es zu Enns, einige Stunden von hier, halten mußte, um einige Waren auszuladen, so machte ich durch die reizende Landschaft einen Spaziergang dahin. Ich kam eben dazu, als einige Unteroffiziers mit grobem Ungestüm an Bord stiegen, um die Handwerksbursche, die sich zu Linz hinlänglich legitimiert zu haben glaubten, noch einmal zu visitieren. Sie nahmen zwei Böhmen mit Gewalt unter dem Titel weg, daß es den Landeskindern verboten sei, sich ohne besondere Erlaubnis aus ihrer Provinz irgendwohin zu begeben. Unterdessen ging das Schiff weg; die Böhmen legitimierten sich durch ihre Papiere und mußten nun einige Meilen zu Fuß laufen, um wieder zu dem Schiff zu kommen. Die Absicht der Soldaten war, die guten Leute durch diesen Aufenthalt in Verlegenheit zu setzen, um sie zu Werbunterhaltungen geneigt zu machen. Gewalttätigkeiten von dieser Art hat ein Reisender vom niedrigsten Stande in Frankreich nicht zu befürchten. Wenn sein Paß besichtigt und sein Koffer durchsucht ist, wird er nirgends mehr angehalten. - Ich stand heute am Ufer der Donau, um die Leute aus einem Ulmer Schiffe aussteigen zu sehen, in deren Gesellschaft ich morgen meine Reise fortsetzen werde. Unter denselben befanden sich zwei unserer Landsleute; der eine ein betagter Mann, der zu Wien als Sprachmeister sein Brot suchen will, und der andere ein Friseur. Ein Stockböhme foderte mit aufgepflanzter Bayonnette die Pässe und Kundschaften ein und riß sie vielen mit einer gewissen groben Wildheit aus den Händen, die ich ihm nicht verargte, weil sie ihm natürlich war. Der Sprachmeister schöpfte aus dieser unfreundlichen Art den Argwohn, es könnte mit den Pässen unrichtig zugehen und vielleicht mancher dem Eigentümer vorenthalten werden, um Ansprüche auf seine Person zu bekommen. Es war ihm nicht um sich selbst, sondern um den jungen wohlgewachsenen Friseur zu tun, der den Soldaten in die Augen stechen mußte. Er raffte all sein bißchen Deutsch zusammen, um dem Soldaten seine Bedenklichkeit begreiflich zu machen. Aber dieser verstand als ein Stockböhme kein Wort davon und ward durch die anhaltenden Vorstellungen des Franzosen so aufgebracht, daß er ihm bald den Flintenkolben unter die Rippen gestoßen hätte. Der Franzose äußerte gegen die umstehenden Zuschauer, daß man in seinem Vaterlande die Fremden anders behandelte, und nun mischte sich ein Eingeborner ein, der ihm unter die Nase sagte, wenn ihm diese Art nicht gefiele, so sollte er zu Hause bleiben. - Ein Fremder, dem nicht die bessern Gesellschaften geradezu offenstehen, ist hierzulande überhaupt schlecht empfohlen.


Vorstellungen sind hier übel angebracht. Überall steht der allmächtige Stock zur Antwort bereit, und überall fühlt man, daß man in einen militärischen Staat gekommen ist, der strenge auf Subordination hält. Leute von Stand empfinden diesen Druck nicht, aber ich denke, man wäre allen Menschen, ohne Ausnahme, Billigkeit und Liebe schuldig. Bei uns nimmt auch der geringste Soldat eine Vorstellung an und beantwortet sie, so gut er kann. Alles beeifert sich, dem Fremden zu zeigen, daß man an seinem Schicksal teilnimmt, daß man froh ist, ihn bei sich zu sehen, und stolz, ihm durch gutes Betragen den Aufenthalt angenehm zu machen. Offenbar begegnete man uns bei der Maut zu Engelhartszell etwas gelinder, weil wegen der zu befürchtenden Desertion keine Truppen dorthin gelegt werden können und also die Zivilbedienten eher ein Wort in Güte annehmen müssen. Aber hier, wo die ganze Luft vom Schwingen der Korporälstöcke ertönt, muß man jeden Blick eines Unterbedienten als ein Gesetz annehmen. - Bruder! In Betracht der schönen Sitten und wahren Menschenliebe können wir immer stolz auf uns sein. Es ist kein Vorurteil. Unter den übrigen europäischen Nationen ist die gute Lebensart fast durchaus nur auf die kleine höhere Klasse eingeschränkt, aber man muß auch unserm Pöbel die Ehre lassen, daß er es lange nicht so sehr als in andern Ländern ist, und die sogenannte Freimütigkeit einiger unserer Nachbarn ist gar oft nichts als eine durch schlechte Erziehung angewöhnte Grobheit und Verwilderung der Sitten.


1hier: regelmäßig fahrend

2Konterbande - Schmuggelware

3engl. Dichter des 18. Jahrhunderts

4engl. Historiker

5ital. Staatsmann des 16. Jahrhunderts, entwickelte die Lehre vom absolutistischen Staat

6engl. Politiker und Philosoph, + 1751

7franz. atheistischer Philosoph der Aufklärung, + 1706

8Vorwand

9Führungszeugnisse