Prag


Böhmen ist ein gesegnetes Land und hat ein herrliches Klima. Seit meinem kurzen Aufenthalt hab ich verschiedne Fremden kennengelernt, die sich wegen der gesunden Luft, der guten und wohlfeilen Lebensmitteln und dem jovialischen Humor der Einwohner beständig hier aufhalten. Aeneas Sylvius 1 beschreibt das Land wie einen Teil von Sibirien, und doch war es zu seiner Zeit wahrscheinlicherweise blühender, als es jetzt ist. Für einen Römer mag der Abstich der Witterung immer merklich sein; allein ich glaube, daß ser. 2 Eminenz doch nur im Winter hier war. Zu Rom hat man gewiß keinen so schönen Frühling, als der jetzige hier ist. Überhaupt sollen hier die Frühlinge und Sommer äußerst angenehm sein, so wie die Herbste zu Wien, wo man aber selten einen ordentlichen Frühling hat und der rauhe Winter gemeiniglich mit dem heißen Sommer unmittelbar zusammengrenzt. Hier bleibt die Witterung immer in einem gewissen Gleichgewicht und ist den schnellen und gewaltsamen Veränderungen nicht unterworfen, die der Gesundheit so nachteilig sind. Die Kältedes Winters ist hier ebenso selten wie die Hitze des Sommers außerordentlich heftig. Die Luft ist trocken, rein und gemäßigt.


Das Land liegt hoch und bildet ein ungeheuer weites Tal, das auf allen Seiten von hohem und stark beholztem Gebirge umgeben ist. Die Vertiefung in der Mitte, wo die Flüsse, die Elbe, die Moldau und die Eger, zusammenfließen und die du dir leicht mit einem Blick auf die Karte deutlich vorstellen kannst, ist gegen die Gewalt der Winde gedeckt. Diese verschiedenen Abdachungen des Landes gegen die Mitte zu befördern den Abfluß des Gewässers, und es kann weder Moräste noch Seen bilden, welche die Luft mit schädlichen Ausdünstungen anfüllen. Da der Boden des Tales nur an sehr wenig Orten felsicht ist, so gräbt es sich leicht seine Kanäle durch die lockere Erde und befruchtet dieselbe, ohne, wie in vielen Gegenden der noch höhern Schweiz, die Luft mit Katarrhen und Flüssen anzufüllen.


Das Land hat alles, was zu einem gemächlichen Leben gehört, in erstaunlichem Überfluß, nur Salz und Wein ausgenommen. Den größten Teil des ersten Bedürfnisses bezieht es um sehr billigen Preis von Linz, wo eine Niederlage von Salz ist, welches zu Gmünd in Östreich und zu Hall in Tirol gewonnen wird. Das übrige bekömmt es jetzt, auch um einen mäßigen Preis, aus dem östreichischen Polen. Mit dem Weinbau sind glückliche Versuche gemacht worden, und ich habe hier Melniker gekostet, welcher der mittlern Gattung der Weine von Bordeaux wenig nachgibt. Die ersten Setzlinge sind aus Burgund beschrieben worden. Allein das Land wird doch schwerlich diesen Artikel für sich in hinlänglicher Menge ziehen können und hat auch andre Güter genug, um sich denselben eintauschen zu können. Es hat im Handel ein großes Übergewicht, welches ihm auch keines der benachbarten Länder streitig machen kann, weil es größtenteils auf natürlichen Gütern und den ersten Bedürfnissen beruht. Es versieht einen großen Teil von Sachsen, Schlesien und Ostreich mit Getreide und verkauft auch etwas Vieh. Der Saazer Kreis ist auch in Jahren von mittelmäßiger Ernte allein imstand, ganz Böhmen, so bevölkert es auch ist, mit dem nötigen Getreide zu versehen. Die vortrefflichen böhmischen Hopfen werden bis an den Rhein in großer Menge ausgeführt. Die Pferdezucht ist seit einigen Jahren ausnehmend verbessert worden und trägt dem Lande schon eine ansehnliche Summe Geld ein. Das böhmische Zinn ist nach dem englischen das beste, welches man kennt, und mit Alaun, Bittersalz, verschiedenen Gattungen von Edelgesteinen, besonders Granaten, usw. wird ein beträchtlicher Handel getrieben. Die großen Waldungen, womit es eingeschlossen ist, begünstigen seine vortrefflichen Glasfabriken, die aus ganz Europa, von Portugal und Neapel bis nach Schweden hinauf, eine unglaubliche Menge Geldes ins Land ziehn. Man verfertigt auch seit einigen Jahren eine erstaunliche Menge guter und ungemein wohlfeiler Hüte und versieht damit einen großen Teil der Einwohner von Östreich, Bayern und Franken. Die Tuch- und Leinwandmanufakturen kommen auch sehr in Aufnahme.


Die Böhmen gehn häufig außer Landes, teils als Glashändler bis nach England und Italien,teils als Korb- und Siebmacher, in welcher Qualität ich sie karawanenweise am Oberrhein und in den Niederlanden umherziehen sah. Sie kommen größtenteils wieder mit einem hübschen Geldchen nach Hause und halten alle in der Fremde wie Brüder zusammen.


Überhaupt haben sie ungemein viel Vaterlandsliebe und eine gewisse Vertraulichkeit unter sich, die sie oft in den Augen der Fremden zu einem tückischen und groben Volk macht, welches sie aber in der Tat nicht sind. Seit den Zeiten des Hans Hus haben sie einen heimlichen Groll gegen die Deutschen, den man nicht einem bösen Humor, sondern wirklich ihrem Nationalstolz zuschreiben muß. Die Bauern, welche an den Landstraßen wohnen, sprechen größtenteils deutsch; allein ohne Not lassen sie sich mit einem Fremden nicht gerne in ein Gespräche ein. Sie tun, als wenn sie kein Wörtchen Deutsch verstünden, holen die Durchreisenden aus und haben unter sich ihr Gespötte mit ihnen. Man wollte sie zwingen, ihre Kinder in deutsche Schulen zu schicken; allein bisher war diese Mühe vergeblich. Sie haben einen unbeschreiblichen Abscheu gegen alles, was deutsch heißt. Ich hab hier junge Leute von den Siegen, die ihre Voreltern unter Zizka 3 über die Deutschen erfochten haben, mit einer Wärme und einem Stolz sprechen hören, die sie in meinen Augen sehr liebenswürdig machten, die aber freilich einem Deutschen die Galle ein wenig hätten angreifen müssen. Sie erinnern sich noch, daß die Residenz des Hofes zu Prag ehedem das Land blühend machte, und äußern ein kleines Mißvergnügen, daß Östreich in Rücksicht auf die Residenz den Vorzug vor ihnen hat und jährlich eine so beträchtliche Summe Geldes teils vom Hof, teils vom Adel nach Wien gezogen wird. Die verstorbene Kaiserin soll von jeher gegen diese Widerspenstigkeit der Böhmen sehr empfindlich und dieses Königreich von ihren alten Erbländern das einzige gewesen sein, welches sie nicht besucht.


Die Hussiten sind im Lande noch sehr zahlreich. Einige behaupten sogar, der sechste Teil der Bauern hinge heimlich dieser Lehre an. Auch in Mähren ist sie noch sehr ausgebreitet. Es sind erst vier Jahre her, daß daselbst gegen 14.000 Bauern einen kleinen Aufstand erregten, ihre Gewissensfreiheit zu behaupten; allein man brachte sie bald wieder zur Ruhe, ohne daß die Sache auswärts einiges Aufsehn erregte.


Voltaire und einige andre Geschichtschreiber haben den berühmten Hans Hus und seine Lehre sehr verkennt. Sie setzen bei diesem Reformator einen sehr eingeschränkten Verstand voraus und meinen, seine Absicht wäre nicht weiter gegangen, als um dem Volk den Genuß des Kelchs beim Abendmahl und allenfalls den Geistlichen Weiber zu verschaffen. Sie belieben mit ihm ihr Gespötte zu treiben, daß er das unbegreifliche Sakrament noch unbegreiflicher habe machen wollen und nicht die geringste Ahndung gehabt habe, wie sehr der Menschenverstand durch solche Mysterien aufgebracht werde. Sie sprechen ihm daher den philosophischen Geist seines Lehrmeisters, des Wiclifs 4 , und seiner Nachfolger, nämlich des Luthers, Zwinglis und Calvins, ab. Ich hatte ehedem den nämlichen Begriff von diesem Mann; allein seitdem ich seine und seiner Anhänger Geschichte studierte, habe ich eine größere Meinung von ihm gefaßt. Ich suchte in der Bibliothek zu Wien alle Urkunden auf, die auf diese interessante Geschichte Bezug haben. Bei Mencken fand ich eine Erklärung der Hussiten an den Reichstag zu Nürnberg in einem Deutsch, das ich erst verstehen konnte, als ich es sechs- bis siebenmal durchgelesen und auch bei verschiedenen Bekannten Erläuterungen gesammelt hatte. Diese merkwürdige Erklärung und Auffoderung enthält das ganze Lehrgebäude der Hussiten. Sie greifen die ganze römische Hierarchie mit ihren Ablässen, dem Fegfeuer, dem Fasten, dem ganzen Mönchswesen und allen Attributen und Modifikationen an, und man sieht offenbar, daß sie nur einen Schritt hinter Calvin zurück waren. Die Sprache dieser Erklärung hat den Ton der Entschlossenheit, der innern Überzeugung und der gesunden Vernunft, nur fällt sie nach der Art der damaligen Zeiten, so wie bei Luther, manchmal ins Grobe und Pöbelhafte. Gewiß hatten die nachfolgenden Reformatoren nichts von Hus voraus als den Vorteil, daß durch den seit Hussens Zeiten in Aufnahm gekommenen Bücherdruck die Wissenschaften sich dem Volke mehr mitgeteilt hatten und durch dieses Hilfsmittel ihre Lehre sich schneller ausbreiten konnte. Hussens Lehre verlor sich in den Kriegen, die eine Folge seines Todes waren. Sie mußte durch die Barbarei, welche sich auf einmal wieder über Böhmen ausbreitete und wo das Volk keine tüchtigen Lehrer mehr, sondern nur wütende Anführer zum Blutvergießen hatte, verunstaltet werden.


Ich fand noch Spuren genug, daß Hus, ungeachtet seines Starrsinns und seiner Verwegenheit, ein aufgeklärter und philosophischer Kopf war, der freilich auch etwas von dem unausgefeilten Gepräge seines Zeitalters trug. Es juckt mich verflucht in den Fingern, Bruder, mich hinter seine Geschichte herzumachen, die meines Erachtens noch lange nicht genug behelligt ist. Ich will dazu sammeln, was ich kann, und, wenn ich einmal hinlängliche Muße habe, einen Versuch machen, ob ich zum Geschichtschreiben einigen Beruf habe. Wenigstens fühl ich einen starken Reiz dazu.


Die noch lebenden Hussiten machen sich große Hoffnung, der jetzige Kaiser, dessen tolerante Gesinnungen längst schon bekannt sind, werde ihnen um so eher Gewissensfreiheit gestatten, da er den Böhmen vorzüglich hold ist; allein man glaubt hier allgemein, sie betrögen sich in ihrer Erwartung; denn da sie von den Grundsätzen der Lutheraner nicht sehr entfernt sind, so würde es wohl nicht ratsam sein, eine ganz neue Sekte, die bei ihrer Entstehung fast allzeit eine Gärung unter dem Volk veranlaßt, in Aufnahme kommen zu lassen.


Die Böhmen sind ein vortrefflicher Schlag Leute. Dubravius, einer ihrer Geschichtschreiber und Bischof zu Olmütz im 16. Jahrhundert, vergleicht sie mit den Löwen. Da das Land, sagt er, nach der Art seines Zeitalters, unter dem Einfluß des Löwengestirnes liegt, so haben sie alle Eigenschaften dieses edlen Tieres. Ihre hohe Brust, ihre funkelnden Augen, ihr starker Hals, ihr dickes Haar, ihr festes Knochengebäude, ihr Mut, ihre Treue, ihre Kraft und ihre unwiderstehliche Wut, wenn sie gereizt werden, beweisen offenbar, daß der Löwe ihr Stern ist, den sie auch mit Recht in ihrem Wappen führen. Der gute Mann trifft die Schilderung seiner Landsleute, wenn er gleich die Züge des Originals über dem Monde sucht. Sie sind schön, stark und ziemlich lebhaft, und man erkennt noch deutlich genug, daß sie von den Kroaten, einem der schönsten Völker der Erde, abstammen. Ihre Köpfe sind im ganzen etwas dick, allein das Mißverhältnis ist in Rücksicht ihrer breiten Schultern und ihres übrigen sehr untersetzten Körpers eben nicht sehr auffallend. Sie sind ohne Vergleich von allen kaiserlichen Untertanen die besten Soldaten. Sie können alle Mühseligkeiten des Soldatenlebens am längsten aushalten, ohne stutzig 5 zu werden. Besonders können sie dem Hunger, der den andern kaiserlichen Völkern ein so schröcklicher Feind ist, lange Trotz bieten.


Auf meiner Reise durch die östreichischen Erblande bin ich in einer Beobachtung bestärkt worden, die ich schon in verschiedenen andern Ländern gemacht hatte, nämlich daß die Bergbewohner überhaupt keine so guten Soldaten sind als die Bewohner von ebenen Ländern. Die Tiroler, Kärnter, Krainer und Steiermärker sind von Körper ebenso stark als die Böhmen, allein sie sind doch bei weitem keine so guten Soldaten als diese und ohne Vergleich unter allen kaiserlichen Untertanen die schlechtesten. Auch in der Schweiz sind, nach dem Geständnis der erfahrensten Offiziers dieses Landes, die Züricher und der Teil der bernerischen Untertanen, welcher nicht die höchsten Gebirge des Kantons bewohnt, ungleich bessere Soldaten als die Graubündner und andre helvetische Völkerschaften, welche die hohe Alpenmasse bewohnen. Ohne Zweifel kömmt der Unterschied daher, daß die Bewohner der Berge an eine zu eigentümliche und von den andern Völkern zu entfernte Lebensart gewöhnt sind, als daß sie außer ihrem Lande, wo der Abstich mit ihrer Muttererde sehr auffallend ist, nicht mißmutig werden sollten. Bekanntlich sind auch alle Hirtenvölker weicher und zärtlicher von Natur als die Ackersleute, welche durch Arbeit und Witterung mehr abgehärtet werden. Die Bergleute, die größtenteils Hirten sind, verteidigen nach dem Zeugnis der ganzen Geschichte ihre Muttererde mit mehr Hartnäckigkeit als die Bewohner von Ebenen, weil sie wegen den Eigentümlichkeiten ihres Landes überhaupt mehr Liebe zu demselben haben, und dann muß man bedenken, daß ihnen die Natur die Verteidigung ihrer oft unübersteiglichen Berge sehr erleichtert. Allein außer ihrem Lande sind sie so förchterlich nicht und bekommen gerne das Heimweh, wodurch die Schweizer bei unserer Armee so bekannt sind.


Die Verfassung und die Sitten des Landes tragen viel dazu bei, daß die Böhmen zum Soldatenstand so viele Vorzüge haben. Die Bauern leben in einer Armut, die viel wirksamer als alle Prachtgesetze den Luxus und die Weichlichkeit von ihnen entfernt hält. Die Leibeigenschaft, welche hier in ihrer ganzen förchterlichen Stärke herrscht, gewöhnt sie von Jugend auf zu einem unbedingten Gehorsam, der größten militärischen Tugend unserer Zeiten. Die atemlose Arbeit für ihre Despoten und ihren eigenen kümmerlichen Unterhalt macht sie hart, und sie finden das Soldatenleben erträglicher als das Bauen der Felder ihrer Herren.


Es ist unbegreiflich, daß ein Volk in einem so bedrängten Zustand so viel Charakter habe. Sie haben ihre Freiheitsliebe schon nachdrücklich bewiesen, und in keiner Stadt der östreichischen Erblande fand ich so viele wahre Patrioten als hier. Man schildert die böhmischen Bauern gewöhnlich als dumm und fühllos; allein im ganzen genommen haben sie sehr viel Gefühl und natürlichen Verstand. Ich habe mit vielen gesprochen, die mir ihre Verhältnisse und ihre Lage deutlich genug beschrieben und mit aller Wärme die Grausamkeiten ihrer Herren geschildert haben. Sie lieben den Kaiser bis zum Entzücken und rechnen mit aller Zuversicht darauf, er werde ihre Ketten zerreißen.


In dem Hussitenkrieg legten sie Proben von Mut und Tapferkeit ab, welche die berühmten Taten der Helvetier in den Augen der Welt verdunkelten, wenn ebensoviel davon geschrieben und gesungen würde. Ohne einigen Vorteil des Terrains, auf ebenem Boden, schlugen sie oft mit einer Handvoll Mannschaft die zahlreichsten Armeen, die mehr geübt und besser bewaffnet waren als sie. Ihr Angriff war unwiderstehlich, und sie hätten sich die Freiheit, deren sie so würdig sind, gewiß errungen, wenn nicht gegen das Ende des Krieges unter ihnen selbst, größtenteils durch Verhetzungen der Pfaffen, Religions­irrungen und Parteilichkeiten entstanden und sie von ihrem Feinde durch Traktaten nicht wären betrogen worden.


Ich konnte nicht ohne die innigste Rührung die schönen jungen Baurenbursche ansehn, die barfuß, mit zerrissenen leinenen Hosen, in bloßen, durchlöcherten, doch reinlichen Hemden, ohne Halstuch, zum Teil auch ohne Hut, Getreide oder Holz für ihre Herren zu Markt führen. Ihre gute Gesichtsmiene und Munterkeit stach mit ihrem Aufzug sonderbar ab. Einer, dem ich vor drei Tagen auf einer Spazierreise zu Fuß nach dem hübschen Flecken Brandeis meinen Überrock, den ich gegen einen allenfalls zu erwartenden Regen mitgenommen, aber wegen der Hitze, die jetzt schon hier herrscht, nicht tragen konnte, auf seinen leeren Wagen warf, war der drolligste und beste Junge von der Welt. Er hatte nichts auf seinem Leibe als Hemd und Hosen, doch zeigte er mir mit einer Art von Prahlerei einen leinenen Kittel, den er auf dem Wagen liegen hatte und der in seinem Umfang fast so viel Löcher als Zeug hatte. Das Kreuz und des Rockes ging beinahe gegeneinander auf, und doch versicherte er mich in seinem gebrochenen Deutsch, daß er sich um alle Wind und Wetter in der Welt nicht kümmerte, so daß ich sehr philosophische und politische Betrachtungen über den Luxus meines abgeworfenen Überrocks anstellte. Er war die Gesundheit und Munterkeit selbst. Seine volle Backen und Waden, von der Sonne stark gebräunt, wollten mich mit aller Gewalt mit der Leibeigenschaft, der ich so gram bin, aussöhnen. Ich dachte, man lärmt so viel über den Luxus, empfiehlt den Bauern so sehr die Nüchternheit und Abhärtung des Körpers, und kann man wohl den Luxus und die Weichlichkeit von ihnen entfernt halten, wenn man ihnen die Tür zum Reichtum öffnet? Der Lehnsherr muß doch seinen Bauern das Notdürftige geben, wenn er sich nicht selbst zugrunde richten will, und wenn sie also kein Eigentum haben, so sind sie doch sicher, daß sie nicht in den Fall kommen, ihr Brot vor den Türen betteln zu müssen. Es kann ihnen kein Brand, kein Hagelwetter, keine Mißernte, kein Krieg noch sonst irgend etwas so viel Schaden tun, daß sie sich nicht in dem nämlichen Jahr wieder in ihren vorigen Zustand setzen könnten. Allein die Betrachtung, daß ihre Frugalität und Härte keine Folge ihres freien Willens ist und sie im Grunde ihren Herren nicht viel mehr als das Vieh sind, welches seine Felder pflügt, warf den Vertrag, den ich mit der Leibeigenschaft schließen wollte, auf einmal um. - Unterdessen akkompagnierte 6 mein Reisegefährte meine Betrachtungen mit Pfeifen und Singen. Pausenweise sprach er viel mit seinen zwei sehr schönen Pferden, deren vortreffliches Geschirre mit seiner schlechten Kleidung stark abstach. Er schien die Pferde sehr liebzuhaben, streichelte und küßte sie, und doch waren sie nicht sein, sondern gehörten einem Prälaten zu, dessen Sklave er war. Ich konnte keine große Idee von einem Prälaten fassen, der das Geschirre seiner Pferde mit Messing verzieren und seinen Knecht in Lumpen gehen läßt. Aber kann man auch von einem Prälaten Konsequenzen erwarten? - Mein guter Bauernjunge gab mir eine Probe von körperlicher Stärke, die mich staunen machte. Nicht weit von dem Flecken, wo ich übernachten wollte, fuhr er von der ordentlichen Straße ab, und seine mutigen Pferde wollten Reißaus nehmen. Allein der Wagen stürzte in einen Graben, verlor ein Rad, und sie mußten stehn. Der Junge lichtete die hintere Achse, wo das Rad fehlte, und glaubte, die Pferde würden das übrige tun, aber die Vertiefung des Grabens war zu gähe 7 . Ich wollte ihm helfen; er protestierte gar höflich, stemmte sich mit Macht an den Wagen an, und in einem Schub war er oben, ohne daß die Pferde viel getan hätten. - Das kleine Trinkgeld, das ich ihm geben wollte, nahm er mit aller Gewalt nicht an, und den ganzen Weg über, sooft ich von seiner Blöße oder dergleichen Umständen sprach, lachte er mich unter die Nase aus und wurde wirklich auch einmal darüber ungehalten, daß ich glaubte, es fehlte ihm irgend etwas. Vielleicht ersetzt sein Herr durch Essen und Trinken das, was er ihm an der Kleidung abgehen läßt.


Ich sahe durchaus bei den Bauern vortreffliche Pferde. Der Kaiser und viele Edelleute haben vor mehrern Jahren Stutereien mit moldauischen, tatarischen und siebenbürgischen Hengsten angelegt, welche die Pferdezucht in kurzer Zeit sehr verbessert haben. Um einen Gulden kann auch jeder von den kaiserlichen oder verschiedenen adeligen Stutereihengsten seine Pferde belegen lassen. Böhmen liefert schon einen großen Teil der kaiserlichen Dragonerpferde, und die Zucht wird immer besser und ausgebreiteter.


Diese Stadt ist ungeheuer groß, über eine Stunde lang und ohngefähr 3/4 Stund breit, aber nach dem Verhältnis ihrer Größe sehr wenig bevölkert. Es gibt Gegenden hier, wo man glaubt, in einem Dorf zu sein. Gegen die Brücke zu, welche die Hauptteile der Stadt verbindet, ist das Gedränge ziemlich stark; allein je weiter man sich von dieser Gegend entfernt, desto öder wird es. Die Zahl der Einwohner wird auf 70.000 angegeben, und der Häuser sind gegen 5.000. Die Brücke über die Moldau ist 740 Schritte lang, sehr massiv von Steinen gebaut und zu beiden Seiten mit steinernen Bildsäulen, meistens in Lebensgröße, geziert, wovon aber kaum drei des Anschauens würdig sind. Man erblickt sehr wenig gute Gebäude, und es sieht fast überall ziemlich schwarz aus. Das königliche Schloß ist ein sehr weitläufiges und unregelmäßiges Gebäude, beherrscht aber auf seinem Berg eine vortreffliche Aussicht über die ganze Stadt und Gegend umher. Unweit desselben steht die Wohnung des Erzbischofs, ein artiges modernes Gebäude, und die uralte Kathedralkirche mit einigen sehenswürdigen architektonischen Malereien von einem berühmten deutschen oder böhmischen Maler, dessen Namen ich vergessen habe.


So schlecht im ganzen die Gebäude der Stadt sind, so schön ist die Lage derselben. Die sogenannte kleine oder westliche Seite der Stadt bietet, besonders auf der Brücke, den angenehmsten Anblick dar, den ich noch in einer großen Stadt gesehen habe. Die Masse der Häuser erhebt sich arnphitheatralisch bis zu einer ansehnlichen Höhe empor. Zur Rechten bedeckt sie den Abhang des Berges bis zum königlichen Schloß hinauf, welches majestätisch darüber emporragt. Zur Linken ist dieser Bergabhang bis in die Mitte herunter mit schönen Gärten und Lusthäusern geschmückt, die sich unbeschreiblich gut ausnehmen und stufenweise das mannigfaltigste und prächtigste Amphitheater bilden. In diesen Gärten beherrscht man eine herrliche Aussicht über den entgegengesetzten Teil der Stadt. Mitten in der breiten, aber seichten Moldau liegen zwei Inselchen, Groß- und Klein-Venedig genannt, die zum öffentlichen Vergnügen zugerichtet sind. Die Prager sind durchaus dazu aufgelegt, alle diese Reize und die Fülle des Landes zu genießen. Man genießt hier die sinnlichen Vergnügungen mit mehr Geschmack als zu Wien und weiß sie besser mit geistiger Wollust zu würzen. Ich bin hier in einige vortreffliche Zirkel geraten, die mich ohne Zweifel vierzehn Tage länger zurückhalten werden, als ich bleiben wollte. Die Mäurerei 8 ist hier in der Blüte, und einige, worunter Graf K. sich vorzüglich ausnimmt, hängen ihr bis zum Enthusiasmus an. Sie tun außerordentlich viel fürs gemeine Beste, besonders durch Erziehungsanstalten. Der Kaiser soll der Mäurerei nicht abgeneigt sein. Es ist auch einmal Zeit, die Vorurteile abzulegen, die man so unbilligerweise gegen eine Gesellschaft gefaßt hatte, die nirgends etwas zum Nachteil des Publikums, wohl aber viel zum Vorteil desselben getan hat.


Die Böhmen, welche sich den Künsten und Wissenschaften widmen, bringen es gemeiniglich sehr weit. Es fehlt ihnen nicht an Genie, und sie haben ungemein viel Fleiß. Ihre Liebe zur Musik ist merkwürdig. Man kann hier einige Orchester zusammenbringen, welche mit den besten zu Paris wetteifern können und sie im Punkt der harmonischen Genauigkeit und Richtigkeit noch übertreffen. Als Waldhornisten und Harfenschläger durchziehn die Böhmen ganz Deutschland und bringen immer etwas Gelde zurück. Selten findet man einen Musikanten von der Art, der nicht erträglich wäre. Man schreibt diesen Hang zur Musik gemeiniglich den vielen Prälaturen und Klöstern zu, welche sich ihre Orchester zum Kirchendienst halten. Allein in Ostreich und Bayern sind die Klöster nicht weniger zahlreich und vermögend, und doch hat der Kirchendienst diese Wirkung nicht auf das Publikum. Ich glaube, das natürliche Genie und die Gewohnheit tragen das meiste dazu bei. Die meisten der hiesigen Studenten sind Musikanten, und sie fangen jetzt schon an, auf öffentlichen Plätzen in der Nacht sogenannte Kassationen oder Musiken zu machen.


Zur Lebhaftigkeit der gesellschaftlichen Unterhaltungen trägt die zahlreiche Garnison der Stadt nicht wenig bei. Es liegen hier gegen 9.000 Mann Soldaten, worunter sechs Grenadierbataillons sind, die das schönste Infanteriekorps ausmachen, das ich in meinem Leben gesehn. Die Offiziers sind vortreffliche Gesellschafter und ganz frei von den Vorurteilen, womit noch die Köpfe der Glieder andrer Stände zum Teil benebelt sind.


Die Juden machen einen ansehnlichen Teil der hiesigen Einwohner aus. Ihre Anzahl beläuft sich auf 9- bis 10.000 Seelen. Sie haben hier ihre Handwerker und Künstler aus ihrem Mittel und in ihrem eignen Quartier, welches man die Judenstadt nennt. Es ist ein seltsamer Anblick, wenn man durch ihre Straßen geht und ihre Schuster und Schneider mitten auf der Gasse arbeiten sieht. Eine ekelhafte Unreinlichkeit und eine gewisse Plumpheit ihrer Werkzeuge zeichnet sie von den Christen aus. Es ist immer sehr merkwürdig, daß dieses zerstreute Volk so viel von der Einfalt und dem Sonderbaren seiner Sitten behält, sosehr es auch mit andern Nationen vermischt ist. Überall, wo ich sie noch sah, nur Holland ausgenommen, waren sie in der Verfeinerung noch unendlich weit hinter ihren Mitbürgern zurück. In Holland mag der Unterschied ihrer Sitten und Lebensart daher rühren, daß sie meistens aus Portugal abstammen, wo sie sich verleugnen und den Christen soviel als möglich ähnlich machen müssen. Hier müssen sie sich durch ein gelbes Läppchen Tuch, welches sie auf dem Arm tragen, von den Christen unterscheiden. Ihre Industrie ist bewundernswürdig. Fast in jedem Wirtshaus ist ein Jude, der ganz unentgeltlich die Dienste eines Hausknechtes verrichtet. Der meinige holt mir Schnupftobak, Kniebänder, Strümpfe und alle die kleinen Dinge, die ich nötig habe; er putzt mir Schuhe und Stiefel, flickt mir Strümpfe, klopft und bürstet mir die Kleider aus, und, kurz, er ist mir eine Art von Lehnlakai, den ich nicht bezahlen darf. Er hält seine Mühe für hinlänglich belohnt, wenn ich ihm einige alte Kleidungsstücke verkaufe, die er dann weiter in der Welt zu befördern sucht. Auf diese Art bedienen sie die meisten Fremden und begnügen sich mit dem bißchen, was sie am Handel und Wandel mit denselben verdienen können, ohne die Mühe für eine Menge Dienste in Anschlag zu bringen. Fällt ihnen nebenher noch ein Trinkgeld zu, so nehmen sie es mit Dank an, aber ich habe nicht bemerkt, daß sie den Fremden mit Betteln lästig fallen.


Welche politische Ungereimtheit! Man gestattet hier den Juden, den Erzfeinden des Christentums, öffentlichen Gottesdienst und vollkommene Gewissensfreiheit, und den Protestanten, die in den Hauptgrundsätzen der Religion mit uns einig sind, versagt man sie. Man schützt ein fremdes, schmutziges, überhaupt genommen - betrügerisches Volk bei seinen Privilegien, bricht dagegen auf die schändlichste Art den Vertrag mit den Hussiten, und die letzten Regenten haben diesen Bruch, wenigstens stillschweigend, genehmigt! - Es ist ein unerklärliches Ding um den Menschenverstand, lieber Bruder. Die Philosophie sagt sonst, je mehr sich die Leute ähnlich sind, desto eher werden sie Freunde. Im Punkt der Religion sah ich überall das Gegenteil. Je ähnlicher sie einander sind, desto mehr hassen sie sich. Ein Bürger aus dem hiesigen großen Haufen wird sich zehnmal eher mit einem Juden vertragen als mit einem Lutheraner, von welchem er in der Religion so wenig unterschieden ist. In Holland sind die Reformierten den Katholiken viel günstiger als den Lutheranern, und den erstern werden die Generalstaaten überall eher den freien Gottesdienst gestatten als den letztern. Die Wiedertäufer und Kalvinisten hassen sich weit mehr als sie zusammen die Katholiken; und so wirst du überall finden, daß, je näher sich die Religionssekten verwandt sind, desto heftiger sie sich verfolgen.


Die Stadt hat weder eine beträchtliche Handlung noch einige Manufakturen von Bedeutung. Es war schon einigemal die Rede davon, die Moldau schiffbar zu machen, allein der Hof war bisher nicht geneigt, einen großen Aufwand für das Publikum zu machen, und ohne schwere Kosten kann das Projekt nicht ausgeführt werden. Bei uns wäre es schon längst geschehen, und wir haben Unternehmungen von der Art ausgeführt, gegen welche diese nur ein Kinderspiel wäre. Offenbar würde Prag viel durch diese Unternehmung gewinnen; allein um die Handlung sehr blühend zu machen, wäre es lange nicht hinlänglich. Der Stolz des Adels, welcher den größten Teil des Nationalvermögens in Händen hat und sich des bürgerlichen Gewerbes schämt, die noch vor zehn bis fünfzehn Jahren üblich gewesene mönchische Erziehung der Jugend in der Stadt, wodurch sie mehr zum frommen Nichtstun als zur Industrie gebildet ward, und dann die ehemalige Intoleranz der Regierung haben der Handlung und dem Industriegeist Steine in den Weg gelegt, die Joseph mit aller Anstrengung in dieser Generation noch nicht ganz wegwälzen kann.


Es ist hier ein Stift von englischen Nonnen, das man aber "Zu den Hybernern" nennt. Im ganzen katholischen Deutschland findet man englische und schottische Mönche und Nonnen zerstreut. Sie mögen zum Teil zur Zeit der Religionsverfolgungen in Großbritannien in Deutschland aufgenommen worden sein; allein die meisten haben nur den Namen noch, und vielleicht viele schon seit Karls des Großen Zeiten her, wo Großbritannien die echten Mustermönche lieferte und Deutschland damit versah. Ein englisches und schottisches Kloster hieß also hernach in Deutschland ebensoviel als eine schottische Freimäurerloge. Sie waren nur von Engländern nach dem wahren Geist der Möncherei eingerichtet worden.


Hier wimmelt es wie zu Wien von jungen Gelehrten, die ihre Zimmer mit Büsten, Medaillons, Silhouetten und Kupferstichen berühmter Männer auszieren, die fliegenden Journale um den Pult herumliegen haben, die Zähne stochern, weder denken noch schreiben und ihren Titel bloß daher haben, daß sie zu keiner der bekannten bürgerlichen Menschenklassen gehören. Einer, der kein Soldat, kein Zivilbedienter, kein Professor, kein Geistlicher, kein Kaufmann, kein Fabrikant, kein Handwerker, kein Hausdiener, kein Taglöhner und - was mag es sonst für Menschenklassen geben? - kein Scharfrichter ist, der heißt hierzulande ein Gelehrter, er mag studieren oder nicht. Im gemeinen Verstand ist der Titel bloß negativ. Ich kenne einige positive Gelehrten hier von Verdienst, aber ihre Anzahl ist im Verhältnis zu den negativen ganz und gar unbedeutend.


Das hiesige Frauenzimmer ist schön, artig und gesellig. Man pflegt hier der Liebe mit weniger Zurückhaltung als zu Wien, weil hier keine Polizeiknechte und keine - Nachtlaternen sind. Man ist des Nachts von den Straßenräuberinnen nicht sicher, die in allen Winkeln auf ihren Feind lauern, den sie aber sehr freundschaftlich behandeln. Liebe ist Krieg, sagt Ovid, und diese Mädchen sind die stehenden Miettruppen des kleinen Gottes, die seine Ehre ritterlich verteidigen. Aber es sollen hier sehr viele Invaliden und Blessierten unter dieser Armee sein. Die Toten werden nicht gezählt.


Da nun die strenge Bücherzensur aufgehoben ist, so strömt von allen Seiten her Witz und Verstand ins Lande. Die hiesigen Gelehrten lassen sich seit dieser Zeit noch einmal so hoch frisieren, tragen ihre Degen um eine Spanne höher und gehn nun auf den äußersten Spitzen der Zehen einher. Nun können sie ihre "Therese philosophe", ihren "Dom Boukre", ihre "Pucelle", ihren Gekourt, Wieland und andere mehr um die Hälfte wohlfeiler haben. "Nun lohnt sich's doch der Mühe, etwas zu schreiben' , sagte mir einer von ihnen, der in seinem Leben noch keinen Versuch mit dem Schreiben gemacht und dem er auch gewiß sehr übel gelingen würde, wenn er einen machen sollte. Die Herrchen gehn immer schwanger, ohne je entbunden zu werden. "Nun rückt das Goldne Zeitalter heran", rief ein anderer. "Die Morgenröte des schönen Tages unserer Literatur vergoldet unsern Horizont. Die Dünste der Dummheit und des Aberglaubens fliehn vor der herannahenden Sonne. Schon erwärmen ihre wohltätigen Strahlen unsere Herzen (und Köpfe, dacht ich). Unser Geist schwingt kühn die Flügel zum hohen Adlerflug. Wir werden alle Nationen weit unter uns zurücklassen" usw. Glück auf die Reise, dacht ich. Es fiel mir der junge Ikarus ein, der auch seine Flügel zum hohen Adlerflug schwung, aber ins Meer purzelte. Die Flügel der hiesigen Gelehrten sind größtenteils auch bloß von Leim und Wachs zusammengepappt. Sie müssen sich erst ein ganz anderes Vehikulum anschaffen, wenn sie andre Nationen einholen wollen. Die Zensur war hierdurch einige Privathändel gegen das Ende noch strenger geworden als zu Wien. Man nahm hier Bücher weg, die nirgends in der weiten Welt für schädlich wären gehalten worden. - - -


Zum Beschluß dieses Briefes, der nun zehn Tage lang auf sein Ende warten mußte, will ich dir eine kurze Nachricht von einem Ausfall gegen das sogenannte Riesengebirge geben, den ich während dieser Zeit getan habe. Wir fuhren Post bis Königingrätz. Da nahmen wir Pferde und ritten einige Tage lang um Jaromirs, Neustadt, Nachod, Braunau usw. bis an die schlesische Grenze herum, um die Lager und Märsche des Feldzuges vor zwei Jahren zu beschauen und einige Prälaturen, worin meine Gefährten Freunde hatten, zu brandschatzen. Wir hatten einen Kapitän bei uns, der zu beiden Expeditionen unser Anführer war und sich wacker hielt. Die Lager und Märsche interessierten mich nicht sehr, weil so wenig dadurch entschieden worden; aber desto besser gefielen mir die Einfälle in die Klöster. Es war mir nicht um die vollen Schüsseln und vollen Krüge zu tun, womit uns der Feind begrüßte. Die Hauptsache für mich war, die Art und Weise der böhmischen Mönche auf dem Lande kennenzulernen. Das sind die ausgemachte Epikureer 9 , Bruder, besonders die reglierten 10 Chorherren, die wir in einigen Gegenden besuchten. Zur Fülle aller irdischen Wollust fehlt ihnen in den Mauern ihres Heiligtums nichts als ein Nonnenkloster von den Mädchen, die bei Nacht zu Prag sub iove pluvio, in triviis et quadriviis 11 ihre Andacht verrichten. Ich wüßte wahrlich kein bessers Mittel, diese armen Geschöpfe zu versorgen und die Straßen der Stadt sicher zu machen, als wenn man sie in die Klöster des Landes verteilte. Diese Mädchen und Mönche sind wie füreinander geschaffen, und sie verfehlen alle ihren Beruf, wenn sie getrennt bleiben. Die Landdamen würden wohl etwas dagegen einzuwenden haben und vielleicht die Landjunker und Beamten selbst, die ihre Familien nicht gerne aussterben lassen und doch die schwere Arbeit nicht selbst verrichten können. Allein die Bauern und Handwerker in den Gegenden der Klöster, die ihre Weiber als ihr Eigentum betrachten, würden desto besser mit dieser Einrichtung zufrieden sein. Die Mönche und Halbmönche ziehn auf den Dörfern, die ihnen zugehören und deren Einwohner ihre Leibeigenen sind, als Pfarrer, Jäger usw. umher, und ich glaube, sie üben noch das Recht des Prälibats 12 aus, kraft dessen, wie bekannt, in alten Zeiten dem Herrn alle Jungferschaften seiner leibeignen Untertanen zugehörten und kein Knecht heiraten dorfte, wenn er nicht die Brautnacht an seine Obrigkeit abtrat. Auf allen Dörfern ihres Bezirkes fanden wir einen von ihnen oder auch zwei, die sich gar keine Mühe gaben zu verbergen, daß sie zu den lustigen Brüdern gehören. Wenn man sich sehr erbauen will, so muß man sich mit ihren eignen Beamten bekannt machen, die gewiß die artigsten Anekdoten zur skandalösen Chronik beitragen könnten. In einigen Klöstern fanden wir auch Säugerinnen.


Das Leben der reglierten Chorherren und auch der Benediktiner, deren Abt oder Prälat den Freuden der Welt noch nicht entsagt hat oder hat entsagen müssen und also kein Sauertopf ist, ist ein Schmaus, der nur von Spaziergängen, Expeditionen hinter den Bettgardinen und einem gewissen Rülpsen in der Kirche unterbrochen wird. Das Singen in der Kirche brauchen sie als eine Art von Kur, um den Schleim von der Brust zu bringen. Ich sah sie an einem Fasttag so viel Eier, Käse und Butter essen, daß ich einem meine Sorgfalt für seinen Magen äußerte und ihn vor einer Verschleimung warnte. "Sorgen Sie nicht", sagte er, "das bringen wir alles wieder durch den Chor von der Brust."


Meine Gesellschaft wollte mir einen sehr sonderbaren Naturauftritt zeigen, und wir nahmen in dieser Absicht den Weg nach Trautenau. Nicht gar eine Stunde von diesem Städtchen bot sich unsern Augen der seltsamste Anblick dar, den man sich denken kann. Nahe bei einem Dorf, dessen Namen ich vergessen, erblickten wir einen ungeheuern Haufen Türme, die an manchen Orten in regelmäßigen Reihen, meistens aber auf eine sonderbare Art zerstreut da stunden. Wir gingen fast eine Viertelstund lang wie in einem Labyrinth zwischen denselben umher, und ich konnte nicht genug staunen. Die meisten sind sechzig bis siebzig Fuß hoch und viele auch gegen hundert bis hundertfünfzig. Von der Seite betrachtet, bilden ihre Spitzen eine Wogenlinie, wie der Rücken eines Berges, der sich bald senkt und bald erhebt. Sie sind alle aus einem Stück harten Felsensteines und würden Herrn Buffon viel zu denken machen. Die Natur hat sie größtenteils in mehr oder weniger regelmäßige Vierecke gehauen. Man hält sie gemeiniglich für das Gerippe eines Berges, zwischen welchem das Wasser die Erde weggespült hat. Die Idee scheint viel Beifall zu verdienen; allein wenn sie wahr ist und andere Berge auch ein solches Gerippe haben, dann sieht es um Buffons Felsensystem mißlich aus; denn bekanntlich denkt er sich die Masse der eigentlichen Urfelsen, woraus diese Türme bestehn, als einen zusammenhängenden unförmlichen Körper, indessen Vertiefungen oder Runzeln Sand, Kalch, Erde usw. angeschwemmt liegen und mehr oder weniger verhärtet sind.


Von da setzten wir unsern Weg nach Freiheit fort und begannen das eigentliche Riesengebirge zu besteigen, wovon in ganz Böhmen viel Lärmen gemacht wird, welches aber im Vergleich mit den savoyischen und helvetischen Alpen und mit dem tirolischen, salzburgischen und steiermarkischen Gebirge immer nur ein Zwerggebirge heißen könnte. Wir erstiegen die sogenannte Schneekoppe oder das Schneehaupt, welches der höchste Gipfel dieses Gebirges ist. Seine Höhe wird von einigen auf mehr als 20.000 Fuß angegeben, ich getraue mir aber zu wetten, daß sie keine 8.000 beträgt 13 . Der Gotthard in der Schweiz ist bei weitem noch keiner der höchsten Berge in der großen Alpenreihe: Seine Erhöhung über das Mittelländische Meer beträgt nicht viel über 13.000 Fuß, und doch hat er ewiges Eis und ewigen Schnee, da wir hingegen hier keine Spur von Eis oder Schnee sahen und der hohe Sommer doch noch ziemlich entfernt ist. Wir brauchten nicht viel über drei Stunden, um seine höchste Spitze vom Fuß auf zu ersteigen. Die Aussicht über den großen Berghaufen zu unsern Füßen und in Schlesien und Böhmen war unbegrenzt und entzückend. Sein kahler Felsengipfel bildet eine ansehnliche Ebene, worauf eine Kapelle steht, die von frommen Leuten einigemal im Jahr besucht wird. Die Leute, die von diesem Berge etwas entfernt wohnen, halten es für eine Art von Wunder, wenn jemand den Gipfel desselben besteigt, und doch war ich in Deutschland selbst auf Gipfeln, die, von ihrem Fuß an gerechnet, wenigstens um ein Dritteil und, nach dem Verhältnis ihrer Erhöhung über die Meerfläche, fast noch einmal so hoch waren als diese sogenannte Schneekoppe.


Sosehr ich mich auch betrogen fand, da ich anstatt der erwarteten Riesen nur Berge von mittlerer Höhe sah, so bin ich doch mit dieser Reise ungemein zufrieden. Wir sahen die romantischesten Landschaften, die man sich denken kann; besonders waren einige Täler unweit der Schneekoppe im malerischen Betracht sehr merkwürdig. Die meisten Berge sind über und über mit mannigfaltigem Gehölze bedeckt, und nur hie und da ragt ein kahler Gipfel darüber empor. Die stark bewässerten Täler sind gut angebaut, und die Einwohner scheinen in bessern Umständen zu sein als die im flachen Lande von Böhmen.



1Papst Pius II.

2serenissimus - allergrnädigst

3hussitischer Heerführer

4John Wiclif, englischer Reformator, + 1384

5widerspenstig

6akkompagnieren - einen Gesangsvortrag auf einem Instrument begleiten

7steil

8Freimaurertum

9Genußmensch

10nach einer Ordensregel lebend

11bei Wind und Wetter, auf Straßen und Plätzen

12das Recht der ersten Nacht

13die Höhe beträgt 1602 m, also etwa 5000 Fuß