Berlin


Mein Weg hieher ging über Wittenberg, einer mittelmäßigen Stadt von ohngefähr 6.000 Einwohnern, die aber noch Spuren von den öftern Verheerungen hat, die sie im letztern Schlesischen Krieg trafen. Sie hat sich seit dieser Zeit noch nicht ganz erholen können. Sie sollte eigentlich die Hauptstadt der kursächsischen Lande sein, muß aber Leipzig den Vorrang lassen und steht in Rücksicht auf Bevölkerung und Reichtum weit hinter mehrern sächsischen Städten. Auf dem sogenannten Kurkreis, dessen Hauptstadt sie ist und welcher einer von den kleinern Kreisen der sächsischen Lande ist, beruht nicht nur die kurfürstliche Würde, sondern auch jene eines Reichshalters während des Interregnums in Norddeutschland.


Bis über die Elbe hin war das Land so gut angebaut als das übrige Sachsen und schien durchaus den nämlichen Boden zu haben; allein kaum hat man von Wittenberg eine Station zurückgelegt, so bemerkt man eine auffallende Veränderung des Erdreichs. Anstatt der grauen und fetten Erde in Sachsen erblickt man nichts mehr als Sand. Das Land sticht mit Sachsen durch eine fast ermüdende Einförmigkeit ab. An den Flüssen erblickt man weite Moräste, und das viele und dicke Schwarzholz gibt der Landschaft eben kein munteres Aussehn. Unter allen deutschen Provinzen, die ich noch sah, scheint Brandenburg von der Natur aufs stiefmütterlichste behandelt worden zu sein.


Die Einwohner ersetzen zum Teil durch ihren Fleiß die Kärglichkeit der Natur. Wo der Boden nur irgend einigen Anbau gestattet, haben sie daraus gemacht, was möglich ist, und das Äußerliche der Flecken und Dörfer und ihrer Einwohner verrät ziemlich viel Wohlstand.


Ich kann es bestätigen, was schon einige andre Reisende angemerkt haben, daß das Visitieren in den preußischen Landen weder so langweilig noch so lästig und kränkend für einen ehrlichen Mann ist als bei den österreichischen Mauten. Die hiesigen Zollbedienten sind vernünftige und artige Leute und handeln bei weitem nicht so eigenmächtig und herrisch als die österreichischen Mautbeamten.


Berlin ist eine außerordentlich schöne und prächtige Stadt. Man darf sie immer unter die schönsten Städte Europens setzen. Sie hat die Einförmigkeit nicht, welche den Anblick der meisten neu und regelmäßig gebauten Städte in die Länge ennuyant 1 macht. Die Bauart, die Einteilung, die Gestalt der öffentlichen Plätze, die Besetzung derselben und einiger Straßen mit Bäumen, kurz, alles ist abwechselnd und unterhaltend.


Ich bin seit einigen Tagen nach meiner Art die Kreuz und Quere durch die Stadt gerennt. In der Größe gibt sie Paris und Wien nichts nach. Sie hat beinahe anderthalb Stund in die Länge, nämlich von dem sogenannten Mühlentor gegen Südosten bis an das Oranienburger Tor gegen Nordwesten, und eine starke Stunde in die Breite, nämlich von dem Bernauer Tor gegen Nordosten bis an das Potsdamer Tor gegen Südwesten. Allein in diesem ungeheuern Umfang sind eine Menge Gärten und auf einer Seite sogar auch Felder mit eingeschlossen. Sie hat nicht viel über 6.000 Häuser, da Paris hingegen beinahe 30.000 zählt. Die Ödheit vieler Gegenden sticht mit der Pracht der Gebäude sonderbar ab.


Der Abstich dieser Pracht ist noch auffallender in Rücksicht auf den Zustand der Einwohner. Du stehst voll Bewunderung vor einem Gebäude in ionischem Stil, das niedlich vergipset ist, eine prächtige Fronte darbietet und eine Miene macht wie die Wohnung eines Fermier General 2 oder wenigstens wie die eines Ducs 3 . Auf einmal öffnet sich im untern Stock ein Fenster, und da stellt dir ein Schuhflicker einen neuversohlten Stiefel vor die Nase, um auf dem Gesimse die Schwärze eintrocknen zu lassen. Du fängst an, über dieses Rätsel Betrachtungen zu machen, und siehe, da geht dir im zweiten Stock ein anderes Fenster auf, wo ein Hosenflicker dir ein Paar neugefärbte Beinkleider zur beliebigen Schau vor die Augen hängt. Wenn du das Rätsel noch nicht aufgelöst hast und noch einige Minuten stehenbleibst so tut sich auf der andern Seite des nämlichen Stockes wieder ein Fenster auf, und da lüftet dir ein Schneider einen geflickten Warns vor der Nase aus. Hast du noch nicht Erläuterung genug, so schwingt dir endlich aus dem dritten Stock jemand das Tischtuch über dem Kopf aus, und da fällt dir nichts heraus als die Haut von einigen Erdäpfeln. - Du gehst nun einige Schritte weiter und stehst vor einem Palast in korinthischem Stil, der die Miene hat, als wenn er einer Mätresse des Königs oder einem Prinzen von Geblüt zugehörte. Kaum hat dein bewunderndes Auge sich bis zum Dach erhoben, so sieht dir aus dem obern Stockwerk ein Jud heraus, der dich fragt, ob du was zu schachern habest. Du schlägst die Augen um ein Stockwerk nieder, und da hängt dir zur Rechten ein Musketier ein gewaschenes Hemd vor die Nase, welches einem Offizier gehört, den du zur Linken am Fenster stehn und sich rasieren siehst und wobei du leicht ausrechnen kannst, daß der Herr Offizier nur im Besitz von zwei Hemdern ist. Deine Augen fallen noch um ein Stockwerk, und da nickt dir ein Jüngferchen durch das Fenster zu und winkt dir gar herzig, ihm auf einige Minuten einen Besuch hinter der Bettgardine abzustatten, die du im Hintergrund des Zimmers erblickst. - Du gehst durch zwei bis drei Straßen fort, deren Gebäude alle im größten Stil sind, und in allen entdeckst du die nämliche Art von Hausleuten. Endlich kömmst du an die Wohnung eines Generals, wie du leicht an der Wache vor der Türe sehen kannst. Aber da siehst du weder Portiers noch Läufer noch irgend etwas von dem Gefolge des Adels von Wien.


Seit drei Tagen habe ich mich bei einem Kriegsrat eingemietet und hätte auch die Ehre haben können, neben einem Geheimen Rat in einem Palast von toskanischem Geschmack zu wohnen. Ich konnte in dem Wirtshaus, wo ich abstieg, unmöglich länger bleiben. Der Wirt machte Bücklinge über Bücklinge und tat so geschäftig um mich, daß ich gleich in der ersten Minute Verdacht schöpfte. Den zweiten Tag war ich Gast zu Mittag in einem Haus, an welches ich von Dresden aus adressiert war, und abends machte mein Herr Wirt schon seine Bemerkungen darüber. Des andern Tages verlief ich mich etwas weit von meinem Logis und speiste in einem Gasthaus, welches einen schönen Garten und gute Gesellschaft hatte. Ich war im Rekognoszieren 4 der Stadt begriffen und wollte mich nicht durch den weiten Rückmarsch zu meinem Wirt irremachen lassen. Ich erzählte ihm abends von dem Garten des Gasthauses und der guten Gesellschaft, mit welcher ich zu speisen die Ehre hatte, und da nahm es der Herr Wirt ernstlich übel, daß ich nicht eine Stunde Wegs machen wollte, um ein neues Item 5 auf seine Rechnung zu machen. Er sah, daß ich einer von denen bin, die mit Wirten kurzen Prozeß machen, und da kam er des andern Tages mit der hiesigen Zeitung, die im Unsinn und in der Heuchelei der "Gazette de France" nichts nachgibt, zu mir auf mein Zimmer gekrochen - wirklich gekrochen, denn er berührte in seinen Bücklingen beinahe mit der Nase die Erde -, las mir die wichtigen Neuigkeiten vor: daß ein preußischer Major am Podagra 6 gestorben, daß Seine königliche Hoheit, der Prinz Heinrich, nach Rheinsberg abgereist ist, daß ein Pastor in der Neumark, der ein Gelehrter sein soll, mit der Kolik geplagt ist und daß in Schlesien eine Frau Generalin glücklich ist von einem Töchterchen entbunden worden. Ich nahm ihm das Blatt aus der Hand, um nicht mit noch mehr Neuigkeiten von der Art überhäuft zu werden. Er tat so demütig, daß ich ihm seine Grobheit vorn vorhergehenden Abend eben vergeben wollte, als er mir zu verstehn gab, daß ich auch bei ihm nach Belieben mit einem lebendigen Bedürfnis zu Bette bedient werden könnte. Nun entschloß ich mich augenblicklich, auszuziehn und in einem Bürgerhaus Quartier zu suchen, denn der Wirt, welcher zugleich ein Maquerau 7 ist, ist gewiß ein Schurke.


Überhaupt scheinen die hiesigen Wirte ein ganz eigener Schlag Leute zu sein. Sie sind alle kriechend höflich, zudringlich bis zum Ekel, grob, wenn sie einen finden, der sich nicht von ihnen beschneiden läßt, lästig durch eine Menge Querfragen, von denen du gar keine Absicht erraten kannst, und wenn sie auch gleich keine Mädchen im Haus haben, so machen sie doch kein Geheimnis daraus, daß sie die Fremden mit diesem Artikel reichlich bedienen können. Sie haben ihre Listen, worauf die schöne Jugend der ganzen Nachbarschaft nach den verschiedenen Preisen sortiert ist, und der Hausknecht ist immer bereit, die Ware herbeizuschaffen, die sich der Fremde auszusuchen beliebt. Mein Hausherr, der Kriegsrat, versicherte mich, daß unter hiesigen zwanzig Wirten kaum einer wäre, der sich mit diesem Nebenhandel nicht abgäbe.


Wenn man aus Böhmen nach Sachsen kömmt, so fällt einem die Teurung der Lebensmittel in dem letztern Lande stark auf; allein noch viel auffallender ist sie hier im Vergleich mit Sachsen.


Die Armut des Landes an vielen Bedürfnissen, die ungeheuern Akzise und dann die vielen Monopolien 8 sind schuld daran. Um dir von den letztern einigen Begriff zu geben, so dient dir zur Nachricht, daß das Pariser Klafter Brennholz, welches hier auch ein Monopolium ist, ohngefähr auf vierzig Livres zu stehen kömmt, obschon das Brandenburgische einen Überfluß an allen Holzarten hat. Berlin hat in Rücksicht auf die Masse des zirkulierenden Geldes und der Teurung der Lebensmittel ein umgekehrtes Verhältnis mit Wien. In der letztern Stadt wundert man sich, daß bei der ungeheuern Geldmasse, welche im Umlauf ist, alles so wohlfeil sein kann, und in der ersten kann man kaum begreifen, wie bei der kleinen Geldmasse alles so, ungeheuer teuer ist. Denke dir, Bruder, man zahlt hier die Bouteille Burgunder mit fünf bis sechs Livres, und der hat doch öfters nichts als den Namen von Burgund. Von unsern ordinären Weinen aus Orleanais, Isle de France, Guyenne usw., die man hier überhaupt unter dem Titel Franzweine begreift, wird die Bouteille mit drei bis vier Livres bezahlt. Der König geht mit den Weintrinkern wirklich zu grausam um.


In den Privathäusern, die ich bisher sah, herrscht eine fast ekelhafte Kärglichkeit in der Küche, im Keller und in allen Teilen derselben. Nur in der Kleidung bemerkt man einigen Aufwand, und vielen sieht man an den Gesichtern an, daß sie Hunger leiden, um sich pudern und Manschetten tragen zu können. Der Putz der Damen ist ganz nach der Mode, und ich sah auch wirklich schon etwas Schmuck von beträchtlichem Wert und von Geschmack.


Es ist wohl keine Stadt in Europa, Konstantinopel ausgenommen, die eine so zahlreiche Garnison hat als Berlin. Es liegen hier gegen 26.000 Mann. Man kann zu allem einen Soldaten um ein kleines Geld haben. Sie putzen die Schuhe, waschen, flicken, kuppeln und tun alles, was anderstwo die Savoyarden 9 und alten Weiber tun. Sie sprechen auch die Fremden nicht um ein Almosen, sondern um ein Trinkgeld an, wofür sie sich aber gemeiniglich etwas zu essen kaufen, denn um ihren Durst zu löschen, hat die Spree Wasser genug. Sie sind lange nicht so grob als die kaiserlichen Soldaten, und man findet sehr viele offne Köpfe unter ihnen.


Soviel sehe und höre ich überall, daß das hiesige Publikum in seiner höhern Region, nämlich um die Köpfe, besser bestellt ist als das wienerische, ob es sich schon in der mittlern Gegend, um den Bauch und die Hosensäcke herum, mit demselben nicht vergleichen kann. Da die Leerheit, welche in dieser Gegend besonders in den Börsen herrscht, ziemlich allgemein ist, so hat man sich dieselbe durch einen stillschweigenden Vertrag im gesellschaftlichen Leben verziehen, und nur ein Fremder bemerkt sie. Sie hat für hiesige Augen und Ohren so wenig Auffallendes, daß Offiziers und Räte auf den öffentlichen Kaffeehäusern ohne Zurückhaltung bei Juden einige Gulden negoziieren 10 , wovon ich schon den zweiten Tag nach meiner Ankunft ein Augenzeuge war. Die Kaufleute, Fabrikanten und der Teil des Adels, welcher einiges Vermögen hat, tun so geheim mit der Münze, daß man sie im alltäglichen Umgang von dem großen Haufen, der völlig ausgebeutelt ist, nicht unterscheiden kann. Dagegen herrscht hier eine Aufklärung über den Zustand des Landes, eine Freiheit in Beurteilung der Regierung, ein Nationalstolz, eine Teilnehmung an den öffentlichen Angelegenheiten und unter den Militär- und Zivilbedienten eine Tätigkeit für den Staat und, der geringen Besoldungen ungeachtet, ein Bewerbungseifer, daß man in Betracht alles dessen glauben sollte, man wäre nach London versetzt worden. Ein offenbarer Beweis, daß nicht die Verfassung der Regierung, sondern die Verwaltung den Geist eines Volkes bildet und daß das patriotische Gefühl kein ausschließliches Vorrecht des Republikaners ist. Man spricht hier von den Verordnungen des Königs 11 und seinem häuslichen Tun und Lassen mit einer Freiheit, die man nur von einem Engländer erwarten sollte.


So kurze Zeit ich auch hier bin, so glaube ich doch mit aller Zuverlässigkeit der Vorstellung widersprechen zu können, die man auswärts von der preußischen Regierung hat und die durch die Relationen einiger Extrapost-Reisenden ist ausgebreitet worden, nämlich daß der König wie aus einem undurchdringlichen Gewölke durch Machtsprüche seinen Staat verwalte. Ich meinesteils habe noch keine offnere und populärere Regierung gesehn als die hiesige, die von England nicht ausgenommen. Der ganze Verwaltungsplan scheint mir so einfach zu sein und liegt so offen vor jedermanns Augen, daß es mir fast unbegreiflich ist, wie man sich eine so falsche Vorstellung machen konnte. Einige Engländer, die den Wert und das Wesen der Freiheit darein setzen, daß sie in ihren Parlamentskammern ihren schalen Witz, ihren Spleen, ihre Radoterien 12 und ihre Sottisen ungehindert auslassen können und die trotz ihrer Süffisance und Dreistigkeit unter allen Reisenden die schlechtesten Beobachter sind, haben vermutlich das meiste zur Verbreitung derselben beigetragen. Man braucht nicht lange in den preußischen Landen zu sein, um sich zu überzeugen, daß der König von geheimnisvollen Anstalten sowenig als von eigentlichen Machtsprüchen Liebhaber ist. Das Departement der auswärtigen Geschäfte und vielleicht einige Dinge, welche das Große der Armee betreffen, sind die einzigen Gegenstände, worüber etwas Dunkel liegt, und man wird doch nicht begehren, der König solle die Briefe seiner Gesandten und seine Schreiben an dieselbe sowie auch seine Taktik öffentlich drucken lassen. - Doch hievon will ich ein andermal umständlicher mit dir reden.


Verzeihe, Bruder! daß ich dich einmal etwas lange auf einen Brief warten ließ. Ich machte verschiedene irrende Ritterfahrten durch das Land und will dir nun die Resultate meiner Beobachtungen mitteilen.


Ich war drei Tage zu Potsdam. Diese Stadt hat zum Teil noch schönere Gebäude als Berlin, die aber, wie hier, auch bloß von Leuten aus der untern und mittlern Klasse bewohnt werden. Man rühmte mir die Lage und Gegend derselben sehr. Für ein so einförmiges Land, als Brandenburg ist, mag sie immer schön heißen. Weder die Gebäude noch die Lage und Gegend der Stadt waren aber die Hauptabsicht meiner Reise dahin. Es war mir darum zu tun, den König zu sehen, der seit so vielen Jahren der Abgott des Pariser Publikums, die Bewunderung von ganz Europa, das Muster und zugleich der Schrecken seiner Feinde ist und den man in den benachbarten Staaten durchaus nur den König par excellence nennt.


Man hatte mir gesagt, daß es außerordentlich leicht wäre, Seiner Majestät vorgestellt zu werden. Allein ich halte es immer für eine große Impertinenz, die Herablassung eines großen Fürsten so zu mißbrauchen, daß man sich ihm - oder vielmehr ihn sich - ohne den geringsten Titel präsentieren läßt. Ich hatte das Glück, ihn zweimal zu Pferd bei der Parade zu sehen, bei welcher er jetzt nicht mehr so regelmäßig wie ehedem erscheinen soll.


In keinem Kupferstich, den ich noch sahe, ist er nur halbwegs getroffen; allein man hat sehr viele Kopien von einem sehr treffenden Gemälde, worauf er in halber Leibesgröße abgebildet ist. Bei Madame de S. zu Paris kannst du eine dieser Kopien sehen, und sie sind so wenig selten, daß ich einige sogar in öffentlichen Gaststuben deutscher Wirtshäuser sah. Das Original ist von einem Italiener, und da dieser außerordentlich glücklich war, so ließ es der König von guten Meistern einigemal kopieren und machte verschiedenen deutschen Fürsten Geschenke damit, wodurch sich die Kopien so sehr ausbreiteten. So schwer auch das Alter auf dem Körper dieses unsterblichen Mannes liegt, so bleiben sich doch seine sehr starken Gesichtszüge immer getreu.


Er ist kaum von mittlerer Größe, starkknochicht und untersetzt. Seine Brust ist nun sehr eingebogen und sein Hals sehr gebeugt. Sein Auge ist noch durchdringend, erweitert sich sehr, wenn er beobachtet, und tritt merklich vor. Ruhe, Ordnung, Entschlossenheit und Ernst sprechen aus seiner Miene. Es ist noch ein gewisser, unerklärlicher Zug in seinem Gesicht auffallend, der allen wirklich großen Männern eigen ist und den ich Gleichgültigkeit gegen alles, was ihn umgibt, nennen würde, wenn er nicht durch seine unbeschreibliche Tätigkeit zeigte, daß er sich um die Sachen, welche in seinem Wirkungskreis sind, ungemein interessiert.


Der Verfasser der "Voyages en différents pays de l'Europe" (Pilati) sagt, zu Berlin und Potsdam werde alles im tiefsten Stillschweigen behandelt, und man wisse weder von den Staatsgeschäften noch von dem Privatleben des Königs etwas zu reden. Es ist die allgemeine Vorstellung, die man auswärts vom hiesigen Hof hat, daß er so verschlossen sei. Wenn man einigen Engländern, besonders Herrn Wraxall 13 , glauben wollte, so wäre der Geist, welcher den preußischen Staat belebt, ein menschenfeindlicher, lichtscheuer Genius, der beständig in einem finstern Hinterhalt Anschläge auf die Güter der Untertanen machte und Fallstricke für sie spinnte. Einen falschern Begriff kann man sich nicht von dem König machen. Herr Pilati, der sich an mehr als einer Stelle widerspricht, sagt an einem andern Ort seiner Briefe selbst, der König habe seine Stunden so genau und ordentlich eingeteilt, daß man in jedem Augenblick wüßte, was er täte. Die große Simplizität und Ordnung seines Privatlebens ist also die Ursache, warum man so wenig davon zu reden weiß. Es ist keine Mätresse da, die mit den Ministern Intrigen anspinnt, um einen ehrlichen Mann, der ihr im Wege steht, zu stürzen; welche die Stellen verkauft, das Land brandschatzet und der Mittelpunkt aller Bewegungen des Hofes ist; deren Launen man studieren muß, um die günstigen Augenblicke zu einer Beförderung oder zur Entscheidung eines Rechtshandels haschen zu können, und von welcher man ein geheimes Tagebuch hält, um sich durch aufgestutzte Anekdoten, Bonmots und Epigrammen für ihre Bedrückungen an ihr rächen zu können. Es ist nicht einmal eine Königin da, welche den Hof alle Morgen zur Untersuchung reizt, ob sie die verwichene Nacht bei ihrem Gemahl geschlafen, ob sie in gesegneten oder ungesegneten Umständen sei und ob die Mode nicht für die künftige Woche von Ihrer Majestät mit einer Revolution bedroht werde. Die Prinzen und Prinzessinnen vom königlichen Haus und Geblüte haben weder unablässige Rangstreitigkeiten noch Kabalen zu betreiben, noch große Spielschulden zu bezahlen, noch irgendeine von den Angelegenheiten, welche sie anderswo in den täglichen Wirbel des Hofes ziehen. Der König geht weder auf die Jagd noch auf den Ball, noch in die Komödie (einige Opern das Jahr durch ausgenommen, die aber auch festgesetzt sind). Er braucht nicht mit dem Finanzminister Rat zu halten, ob und wie der Schmuck oder das neue Haus oder der neue Garten für die Mätresse oder die Reise nach ... bezahlt werden könnte. Hier wird nichts unternommen, wozu nicht das Geld vorrätig daliegt. Der König hat weder einen eigentlichen Liebling noch einen Beichtvater noch einen Hofnarren, der noch bei einigen andern deutschen Höfen mutatis mutandis 14 im alten Kredit steht und dessen Rolle öfters der Beichtvater zugleich spielen muß.


In diesen Umständen muß nun freilich die Hofgeschichte du jour 15 arm sein. Der König gibt sich aber so wenig Mühe, sich zu verbergen, daß es, wie der Engländer Moore bemerkt, eben nicht schwer sein würde, unaufgehalten bis an sein Schlafzimmer zu kommen. Weder eine ansehnliche Wache noch ein Schwarm von Kammerherren und Kammerdienern umgibt ihn. Er geht öfters ganz allein in dem Garten von Sanssouci spazieren, und er mag sein, wo er will, die Revuen seiner Truppen ausgenommen, so hat niemand zu befürchten, daß er sich des Königs wegen entfernen müsse.


Die nämliche Simplizität und Ordnung, welche die einzige Ursache der Stille seines Privatlebens sind, machen auch den Gang der Staatsverwaltung so wenig rauschend. Wer die Regierungsgeschäfte des Königs für geheimnisvoll und seine Anstalten für intrigant hält, der begeht entweder den Fehler, der uns Sterblichen so gemein ist, nämlich daß man eben deswegen ein Geheimnis voraussetzt, weil die Sache gar zu offenbar und einfach ist, und man die Wahrheit darum übersieht, weil sie zu nahe vor unsern Augen liegt, oder seine eigne Galle wirft etwas Dunkel auf die Gegenstände, welches meines Bedünkens Herrn Wraxalls Fall war.


Es ist wahr, der König hält weder ordentliche Staatsräte noch ein Lit de justice 16 . Er hat kein Parlament, dessen Glieder wegen Schmeichelei befördert und wegen Widersetzlichkeiten exiliert werden. Das Korps der Prinzen von Geblüte kann gegen seine Verordnungen keine Repräsentationen und Protestationen eingeben, um ihn zu zwingen, ihnen auf einige Tage die Erscheinung bei Hofe zu verbieten oder ihre Schulden zu bezahlen. Die ehrlichen Leute werden durch keine Cachetbriefe 17 von ihnen verfolgt, noch können die Minister eine Kabale gegen sie machen. Er hat weder nötig, an die Liebe und den Patriotismus seiner Untertanen zu appellieren, wenn der Witz des Finanzministers erschöpft ist und dieser keine Künste mehr ausfindig machen kann, ihnen die letzten Pfennige ohne Appellation aus der Tasche zu spielen. Er weiß nichts von Staatslotterien, von Leibrenten, von Anleihn, von neuen Vingtiemen 18 und Erhöhung der Kopfsteuern und andern Gefällen. Er hat keine Don gratuits 19 von seiner Geistlichkeit zu empfangen, die er mit Religionsreformen bedrohen muß, wenn sie ihm nicht schenken will, was er fodert. Er hat keine Bischöfe und keine Sorbonne, welche wohldenkende Männer verketzern und in den Augen des Publikums infamieren 20 können, um sie von den öffentlichen Stellen auszuschließen. Seine Minister können weder Parteien unter sich machen noch die Blindekuh mit ihm spielen. Alles das muß die Regierung nun freilich sehr einförmig und unnouvellistisch 21 machen.


Unterdessen könnte ich tagelang nachsinnen, in welche Regierungsgeschäfte der König irgendeinen geheimnisvollen Anschlag verweben sollte, ohne nur etwas Wahrscheinliches herauszubringen. Die auswärtigen Staatsgeschäfte erfodern ihrer Natur nach eine gewisse Verschwiegenheit, die auch das englische Ministerium gegen das Parlament sehr heilig beobachtet. Was die innern Staatsangelegenheiten betrifft, so liegt hier weder die Religion noch der Adel, noch irgend sonsten ein Teil des Staats mit dem Ganzen im Streit. Weit entfernt, die begründeten Rechte des Adels zu untergraben, gibt sich der König alle erdenkliche Mühe, ihn bei seinem Ansehen zu erhalten. Er hat den schlesischen Adel, den mächtigsten in seinen Landen, durch große Vorschüsse zu 1 und 1 1/2 Prozent von seinem Verfall gerettet. Der Adel einiger andrer Provinzen flehte ihn um die nämliche Hülfe an, und er hat sie ihnen gewährt. Keine Gemeinde, keine Stadt, keine Stiftung ist nur in der entferntesten Gefahr, daß ihre Privilegien, insoweit sie nicht offenbar dem Staat nachteilig sind, angetastet werden sollten. Sogar die reichen Klöster in Schlesien und Westpreußen haben nicht das geringste zu befürchten.


Man hält die preußische Regierung auswärts für die willkürlichste in Europa, und doch ist sie nichts weniger als das. Der Grundsatz der englischen Verfassung, "Rex in regno suo superiores habet Deum et legem" 22 , wird nirgends so gewissenhaft beobachtet als hier. Man wird doch eine strenge Vollziehung der Gesetze und der Anstalten, welche unmittelbar zum Besten des Staats abzwecken, nicht Despotie nennen wollen? Und wo hat sich sonst der König irgend etwas erlaubt, welches eine willkürliche Strenge verriete? In keinem Staat werden die Gesetze der Vernunft, die Rechte der Natur und die Verträge, Gebräuche und besondern Statuten, die dem Wohl des Ganzen nicht widersprechen, heiliger beobachtet und geschützt als in den preußischen Landen. Nirgends mißt die Regierung ihre Schritte so gewissenhaft nach der Billigkeit ab als hier.


Der stärkste Beweis hievon ist die Verwaltung des Finanzwesens. Die Auflagen sind das eigentliche Feld der Despotie, denn alle übrige Gewalttätigkeiten eines Despoten treffen nur einzelne Menschen, und gerade die, welche von ihrem Interesse zu nahe an den Thron getrieben werden. Die Auflagen aber dehnen sich über das ganze Volk aus.


Nebst den Domänen, Forsten, Bergwerken, Fabriken und dergleichen besondern Einkünften des Königs beruht sein Finanzsystem auf den zween einfachsten Grundsätzen, nämlich den Akzisen und Steuern. Die Steuern liegen auf der zahlreichsten und nützlichsten Volksklasse, nämlich auf den Bauren, und sie sind daher nach dem Verhältnis des Werts der Dinge so mäßig als irgend in einem europäischen Land. Die Bauren in den preußischen Landen, wie sogar der Engländer Moore selbst gesteht, befinden sich daher so gut als irgend anderswo. Sie machen wenigstens drei Viertel von den Untertanen des Königs aus, und der gute Zustand dieses so ungleich größern Teils der Nation wiegt doch wohl auf der Waage der Menschlichkeit den Reichtum des Adels und der Handelsleute in England und Frankreich auf, in welchen Staaten die Bauren, ob sie schon eigentlich das Volk oder die Nation ausmachen, von der Regierung doch zuletzt und am wenigsten in Betrachtung genommen werden.


Es ist der Mühe wert, die Lage der Bauren in Großbritannien mit den preußischen zu vergleichen. Das Resultat dieses Vergleichs ist der schönste Beweis, welche schiefe Begriffe man sich von dem Wohl eines Staates, von Freiheit und Despotie machen kann und wie wenig man sich auf die Nachrichten der englischen Reisebeschreiber zu verlassen hat, die ein Volk für Sklaven erklären, weil es keine indischen Nabobs, keine Lords, keine bestochenen Schwätzer im Parlament und keinen König hat, den jeder Bube, unter der Maske des Patriotismus, mit Kot bewerfen darf.


Die sogenannten substantial farmers 23 der Engländer können wegen ihrer geringen Anzahl nicht in diesen Vergleich kommen. Sie sind beinahe das, was hierzulande die Besitzer kleiner Rittergüter und die Pächter von königlichen Domänen sind, deren Anzahl in den preußischen Landen ungleich größer ist als jene der englischen substantial farmers. Die Zahl der Yeomen, Freeholders und Copyholders 24 , welche unter den Landleuten das Wahlrecht für das Unterhaus haben, ist auch sehr gering, und es ist bekannt genug, daß ihr Wahlrecht ein leerer Titel ist. Die Adeligen, deren Lehnleute sie guten Teils sind oder die doch das Jagd-, Zoll- und Marktrecht in ihren Bezirken auszuüben haben, haben sie teils durch Gewalttätigkeiten, teils durch öffentlichen Kauf und Bestechung um dieses Recht gebracht. In der jetzigen Lage Großbritanniens hat der Bauer platterdings keinen Teil mehr an der Gesetzgebung.


Der englische Bauer ist im strengsten Verstand des Worts ein Sklave der übrigen Stände. Er mußte als Matrose und Soldat Amerika, Ost- und Westindien erobern, wovon ausschließlich die höhern und unzahlreichsten Klassen der Nation die Früchte genießen. Durch das ungeheure Geld, welches aus diesen mit seinem Blut eroberten Ländern nach England strömte, ward der Preis der Dinge so erhöht, daß er seine Früchte wegen des hohen Preises außer Land nicht mehr absetzen konnte, und er hätte einen Teil des besten Bodens von Europa ungebaut müssen liegenlassen, wenn das Parlament nicht so ansehnliche Preise auf die Ausfuhr des Getreides gesetzt hätte, daß er mit andern Nationen in diesem Handel hätte konkurrieren können. Dieser prekäre Zustand des Getreidehandels dauert aber nur so lange, als die Schiffahrt der Russen und der Länder, welche die Küste von Polen ausmachen, eingeschränkt ist. Sowie die Schiffahrt in Rußland und Preußen und der Ackerbau in Polen steigen , kommt der englische Bauer immer in größere Verlegenheit. Das System der Konvenienz 25 , welches Großbritannien schon seit so vielen Jahren, mit Hintansetzung aller Gerechtigkeit und des Völkerrechts, zu seiner Staatskunst gemacht hat, ist ebenso drückend für den Bauren, als es für den Adel und die Kaufmannschaft gemächlich ist. Er muß die unzähligen Kriege ausfechten, welche dieses System veranlaßt. Er empfindet das Steigen und das Fallen des Nationalkredits, die schwere Last der Schulden, welche sich über seinem Vaterlande häuft, und die Verwandlung des Geldes in Papier, welche der auf seine Unkosten bereicherte Große durch seine Verschwendung und die Verschickung der Münze in die Fremde beschleunigt. Ihn trifft am derbsten die Erhöhung der Auflagen im Fall eines Krieges. Auf einmal werden alsdann dem Ackerbau so viele Hände entzogen. Die innere Konsumtion wird durch die Entfernung so vieler Verzehrer aus dem Vaterlande verringert. Der Absatz des Getreides wird durch die Gefährlichkeit der Schiffahrt und in der politischen Lage, worin sich Großbritannien seit beinahe achtzig Jahren befindet, gerade in die Länder gehemmt, wohin es das meiste Getreide in Friedenszeiten auszuführen pflegt. Aus dieser Ursache wimmelt nach einigen Kriegsjahren England allezeit von Straßenräubern und Dieben, die alle aus der Klasse der Bauren sind und eine neue Plage des Landvolks werden. Durch die vielen Kriegsjahre, welche von den letzten hundert Jahren gerade die Hälfte ausmachen, wurde die Bevölkerung von Großbritannien zum großen Nachteil des Ackerbaues gehemmt. Soviel Lärmen man auch von der Bevölkerung Englands macht, so läßt sie sich doch, im Verhältnis der Größe der Länder, mit jener von Frankreich, Deutschland und Italien nicht vergleichen. In diesen letztern Ländern kommen im Durchschnitt bekanntlich 2.500 Menschen auf eine geographische Quadratmeile, und in England kaum 1.900. Und doch gab ihm die Natur die ersten Bedürfnisse des Lebens in einem größern Überfluß als jenen Ländern. Geblendet durch einen falschen Schein von Freiheit, glaubt der englische Bauer für das Wohl des Vaterlandes zu opfern und zu fechten, und im Grunde ist er das Lastvieh der Großen. Daraus muß man die Grundsätze einiger Engländer erklären, welche behaupten, die Aufklärung des Bauren sei dem Staat schädlich und eine gewisse Wildheit desselben zur Stärke des Staates unumgänglich erfoderlich. Es ist ihnen darum zu tun, Matrosen und Soldaten zu haben, die fühllos, wie die Tiere, gegen Stürme und Batterien eine Freiheit verteidigen, die kaum für den zwanzigsten Teil der Nation Früchte trägt.


Moore glaubt, der König von Preußen halte seine Bauren so gelinde, weil er aus ihnen seine Soldaten zieht. Nur ein Engländer, der alles auf seinem beliebigen Standpunkt nur einseitig betrachtet, kann der Verwaltung des Königs diese Erklärung geben. Kaum zwei Fünfteile der preußischen Armee bestehen aus inländischen Bauren. Über die Hälfte derselben besteht aus geworbener fremder Mannschaft, und zu der übrigen Hälfte tragen die Städte des Landes so gut als die Dörfer das Ihrige bei. Pilati widerspricht hierin Herrn Moore stark genug, indem er behauptet, die preußische Armee bestehe nur aus solchen Leuten, welche die alten Römer für untüchtig zum Soldatenstand gehalten hätten, nämlich aus Handwerkern. Ich will mich nicht damit aufhalten, noch mehr Widersprüche von der Art über die preußische Regierung anzuführen, die einem unparteiischen Mann Stoff genug zum Lachen geben könnten. Der König von Preußen betrachtet, im Gegensatz mit der englischen Regierung und der Natur der Dinge gemäß, die Bauern als den wesentlichsten Teil des Staates. Er bewirbt sich nicht um auswärtige Kolonien, die dem Landbau Hände entziehen und die der Bauer bloß zum Vorteil des schwelgenden Teils der Nation verteidigen muß. Sein politisches System gründet sich weder auf die Herrschaft über die See noch auf die Eitelkeit, sich in alle Händel der europäischen Mächte einzumischen, um den zweideutigen Namen eines Verteidigers des Gleichgewichts und der Freiheit von Europa zu haben, wodurch sich England in so viele Kriege verwickelt hat. Seine Bauren sind nichts weniger als in Gefahr, Schlachtopfer eines Ehrgeizes zu werden, den man ihm auf die ungerechteste Art, wie ich dir in der Folge meiner Briefe zeigen werde, angedichtet hat, den aber die großbritannische Regierung im höchsten Grade besitzt. Es ist eine Unmöglichkeit, daß der preußische Bauer je in die Verlegenheit komme, seine Produkten nicht absetzen zu können. In England liegen, nach dem Zeugnis aller Politiker, ungeheure Striche des besten Bodens wüste; in den preußischen Staaten wird der dürre Sand angebaut. In England kann ein Adeliger oft zu seinem Vorteil und zum großen Schaden der benachbarten Bauren einen Zwangpreis auf den Märkten für das Getreide machen; hierzulande ist nicht nur der Bauer gegen alle solche Gewalttätigkeiten des Adels wie auch gegen die Beschwerden der Jagd- und Forstfreiheiten gesichert, sondern der König erhält auch durch sehr kluge Anstalten und den Aufkauf für seine ungeheuren Magazine das Getreide zum Vorteil des Bauren in einem ziemlich gleichen und hohen Preis. Die Preise, welche das englische Parlament für das auszuführende Getreide bezahlt, wiegen bei weitem das Geld nicht auf, welches der König von Preußen zur Aufnahme des Ackerbaues verwendet. Er gibt nicht nur denen, welche wüstes Land urbar machen, Holz zum Bauen, Vieh und ansehnliche Geldvorschüsse, sondern teilt auch jährlich unter die schon angesessenen ärmern Bauren beträchtliche Summen aus. In den letztern Jahren hat er bloß den Bauren in der sogenannten Mittelmark jährlich gegen 100.000 Taler geschenkt. Man schätzt, daß er im Durchschnitt jährlich gegen 700.000 Taler oder über 2 1/2 Millionen Livres unter die ärmsten Bauren seiner Lande verteilen läßt. Der jährliche Aufwand für Kolonisten, für Dämme, Einteichungen, Kanäle usw., welche hauptsächlich die Aufnahme des Ackerbaues zum Endzweck haben, beträgt noch mehr als diese Summe.


Der Hauptvorteil, den der preußische Bauer vor dem englischen hat und der ihn ohne Vergleich zum freisten und glücklichsten Bauern von Europa macht, ist, daß seine Landtaxe oder Steuer nie erhöht wird. Diese einzige Wahrheit wäre hinlänglich, das elende Geschrei von der Despotie der preußischen Regierung zuschanden zu machen, wenn die Schreier einiger Scham fähig wären oder sie sich die Mühe nähmen, etwas tiefer in das Land einzudringen, als sie auf der Extrapost zu tun gewohnt sind.


Die Steuer ist in den preußischen Landen unveränderlich. Selbst in dem Gedränge des letzten Schlesischen Kriegs, wo ganz Europa glaubte, die Lande des Königs müßten bis auf den letzten Pfenning erschöpft sein, ist sie um keinen Heller erhöht worden. Wenn derselbe auch einen Krieg auszufechten hätte, der noch viel lästiger und anhaltender wäre, als jener war, so würde sie doch nie erhöht werden. Diese weise Verfügung ist eine Folge von der wahren Kenntnis der Lage des Landmannes und der redlichen und undespotischen Gesinnung des Regenten. Er wußte, daß in den Verheerungen und Bedrängnissen des Krieges die Auflagen für den Landmann doppelt lästig sind, daß zu einer Zeit, wo durch die Entfernung der stehenden Truppen die Konsumtion der Produkten verringert, die Felder öfters vom Feinde geplündert oder gänzlich verwüstet und durch Rekrutierungen dem Landbau so viele Hände entzogen werden, die Erhöhung derselben für den Staat äußerst verderblich sein müßte.


Herr Pilati, welcher den Bemühungen des Königs für die Aufnahme des Ackerbaues Gerechtigkeit widerfahren läßt, schließt mit der Bemerkung, daß der Feldbau in den preußischen Landen, ungeachtet des großen Aufwandes des Königs für das Beste desselben, doch nicht gedeihen wolle, weil zu wenig Geld im Lande zirkuliere. Unter den Bauern konnte ich nun eben keinen Geldmangel bemerken. Im Gegenteil, ihre Kleidung, ihr Hausgeräte und ihre Lebensart verraten einen hohen Wohlstand und grenzen wirklich sehr nahe an den Luxus. Es läßt sich auch a priori 26 beweisen, daß die Bauren in den preußischen Staaten den Geldmangel, welcher unter den übrigen Ständen herrscht, nicht verspüren können. Sie müssen der Hauptkanal oder sozusagen der große Behälter des Geldes sein, welcher es aus den kleinen Kanälen des Staates an sich zieht und es wieder durch kleine Kanäle in den Körper zurückergießt. Die ganze Einrichtung des Staates ist hauptsächlich zu ihrem Vorteil angelegt. Die Akzise und Monopolien treffen sie am wenigsten, und sie können sich von diesen Auflagen ganz frei machen, wenn sie nach dem väterlichen Willen des Königs den entbehrlichen Luxus vermeiden. Der Handwerker, Künstler, der kleine Kaufmann und überhaupt die unterste und mittlere Klasse der Städtebewohner werden durch die Akzise bloß auf die Verzehrung der innern Landesprodukte eingeschränkt, und der Bauer zieht eigentlich den Hauptteil des Verdienstes derselben. Das ganze preußische Akzis-System ist zugunsten der Bauern angelegt. Zum Beispiel die ungeheure Auflage auf die fremden Weine hat die Absicht, bloß die Verzehrung des inländischen Bieres zu vermehren, wodurch dem Bauer seine Gerste, seine Hopfen usw. besser versilbert werden. Der Soldat gibt alles dem Bauern. Seine ganze Kleidung, sein Essen und Trinken, alles kommt dem Bauern zugut. Der offenbarste Beweis, daß die preußischen Bauren gerade die Leute sind, unter denen kein Geldmangel herrschen kann, ist, daß die Landesfrüchte, im Vergleich mit den benachbarten Staaten, in einem sehr hohen Preis stehen und der Absatz derselben doch leichter ist als in irgendeinem andern Land. Ich habe sogar in einem deutschen Journal ein Schreiben eines preußischen Ritters gelesen, worin behauptet wird, die Bauren würden durch die überwiegenden Vorteile, welche sie vor den andern Ständen genießen, dem preußischen Staat gefährlich werden. Ist es aber nicht billig, nicht natürlich, nicht republikanisch und der Würde der Menschheit gemäß, daß der zahlreichste und nützlichste Teil des Volkes das Übergewicht in einem Staat hat? Soll ein Pack Lords allein die Vorrechte der Freiheit genießen, welche der Bauer doch verteidigen muß?


Herrn Pilati, der oft wieder gutmacht, was er verdorben hat, und oft wieder verdirbt, was er gut gemacht hat, entfährt in Sizilien eine Bemerkung, welche seiner obbemeldten Beobachtung über den Zustand des Ackerbaues in den preußischen Landen eben nicht genau entspricht und der preußischen Regierung unendlich viel Ehre macht. Nachdem er die verschwenderische Güte der Natur gegen diese Insel mit ihrer stiefmütterlichen Sparsamkeit gegen die preußischen Lande in einen Kontrast gesetzt hat, gesteht er, daß die preußischen Bauern doch ungleich reicher sind als die sizilianischen. Welch eine göttliche Regierung muß die sein, welche die Bebauer von Sandwüsten glücklicher macht als die Einwohner des Landes, das die Alten und Neuen für ein Wunder von Fruchtbarkeit und natürlichem Reichtum halten! Der Boden von Sizilien gibt den Samen des Korns hundertfältig zurück, und in Preußen ist es ein Glück, wenn man den gesäeten Weizen sieben- und achtmal und das Korn zwölf- bis fünfzehnmal erntet. - Der Sizilianer hat nebst dem Getreidebau Öl, Seide, Baumwolle, Wein, Zitronen, Pomeranzen, Zucker und noch eine Menge andrer Produkte vom ersten Wert, und der Preuße hat kaum neben dem Ackerbau etwas Rüben, Holzäpfel, Tannenzapfen und dergleichen. Und doch ist er reicher als jener! Und macht es der preußischen Regierung nicht mehr Ehre, daß der größte Teil ihrer Untertanen bei der Kärglichkeit der Natur gegen sie wohlhabend und glücklich ist, als wenn sie einige Mylords Baltimore, Clive, Cavendish, einige Ducs de Pignatelli, Monteleone, Matalone und einige Fürsten Esterházy hätte?

Wenn man, wie es billig ist, die Härte der Natur in den preußischen Landen mit in den Anschlag bringt, so hat der König in der Beförderung des Ackerbaues wirklich Wunder getan. Ich sahe Gegenden angebaut, die noch vor zehn und fünfzehn Jahren trockener Sand waren. Die Anzahl der in seinen verschiedenen Landen von ihm neu angelegten oder doch so verbesserten Dörfer und Höfe, daß man sie für fast ganz neu halten muß, soll sich auf viele hundert belaufen. Da die Moräste an den Flüssen hierzulande der beste Boden sind, so verwendet er unglaubliche Summen auf die Einteichung und Austrocknung derselben. - Überall sieht man, daß der Ackerbau hier, der Natur gemäß, als die Grundfeste des Staates angesehen wird. Die Minister und Geheimen Räte des Königs widmen demselben ihre Nebenstunden, welche diese Herren an andern Höfen der Wollust, dem Spiel und der Kabale zu opfern pflegen. Der Minister Hertzberg 27 , der in jedem Betracht unter die großen Männer unsers Jahrhunderts gehört, hat einige Stunden von hier ein Landgut, dessen Wirtschaft seine Erholung von den Staatsgeschäften ist. Fast in jedem Dorfe findet man einen von Adel, dessen Hauptbeschäftigung der Landbau ist und der sein Vergnügen mit seinem Nutzen aufs schönste zu verweben weiß. Man beschreibt nicht nur Getreidearten aus Polen, Rußland, England, Sizilien und andern europäischen Ländern, um diejenigen ausfindig zu machen, die auf preußischem Boden am besten gedeihen, sondern hat sogar schon Versuche mit barbarischem und ägyptischem Korn gemacht. In den Augen des Königs macht der Mann eine der merkwürdigsten Epoche der Geschichte seiner Regierung, der in dem Feldbau eine merkliche Revolution veranlaßt. Man erzählte mir eine Anekdote, die ihm mehr Ehre macht als das geprängvolle Ackern des sinesischen Kaisers mit einem vergoldeten Pflug. Der Geheime Rat von Brenkenhof, ein Mann, der ohne Heller und Pfenning durch seine Industrie ein Millionär (von Livres) ward, hat sich besonders um den Ackerbau in den preußischen Landen verdient gemacht. Unter andern beschrieb er Roggen aus Archangelsk, der auf preußischem Boden so gut fortkam, daß man nach und nach durch Pommern, Brandenburg, Schlesien und Preußen Saatroggen von ihm beschrieb und das Land durch die bereicherten Ernten erstaunliche Summen gewann, die es ehedem den Polen und Russen für diesen Artikel geben mußte. Wenn Herr von Brenkenhof nachher eine Bittschrift für sich oder die Provinz an den König zu machen hatte, so fing er sie immer so an: "Wenn ich keinen Roggen aus Archangelsk ins Land gebracht hätte, so würden Eure Majestät und Ihre Untertanen so viel tausend Taler weniger haben. Es ist also billig, daß Sie mir die Bitte für die Provinz gewähren", usw. Der König hat ihm nicht nur nie etwas abgeschlagen, sondern auch öffentlich gesagt: "Brenkenhof ist der merkwürdigste Mann, der in meinen Landen unter meiner Regierung ist geboren worden, und ich bin stolz darauf." Der nämliche Herr von Brenkenhof hat, zur größern Aufnahme der Viehzucht, Kamele und Büffel aus Asien kommen lassen. Die Zucht der letztern soll unter dem preußischen Himmel gut fortkommen. Ich sah sie auch in Salzburg, wo das Klima, der südlichern Lage ungeachtet, nicht wärmer ist als in den preußischen Landen. Allein die Trägheit dieses Tieres vernichtet immer seine andern Vorzüge. Der Versuch mit den Kamelen wollte gar nicht gelingen.

Die Schafzucht und der Tobaksbau sind nebst dem Getreidebau die vorzüglichsten Ressourcen des hiesigen Landmanns. Man gewinnt auch schon eine beträchtliche Menge grober Seide; allein dieses Produkt ist immer noch eher eine Unterhaltung spekulativer Landwirte als ein ordentliches Landeserzeugnis. Der Adel, die Pfarrer und die Besitzer großer Ländereien geben sich eigentlich nur damit ab. Unterdessen ist es immer merkwürdig, daß in den preußischen Landen jährlich gegen 12.000 Pfund Seide gewonnen werden, da man in Ungarn, dessen Klima diesem Produkt so günstig als irgendeines Landes in Europa ist, bei allen den großen Anstalten, welche die Regierung seit manchen Jahren gemacht hat, kaum 7- bis 8.000 Pfund jährlich gewinnt.


Der preußische Bauer, dessen Stand durch das Beispiel der Großen geehrt, der gegen alle willkürliche Auflagen gesichert und auf alle mögliche Art geschützt und unterstützt wird, ist also ein größerer Beweis von Nationalfreiheit als ein Dutzend fette Lords oder ein bestochenes Parlament. In meinem nächsten Brief werde ich dir etwas von den Volksklassen sagen, die eigentlich in das Gebiete der Akzise und Monopolien gehören.


Ich kann diesen Brief nicht schließen, ohne eine Bemerkung zu machen, die dem Anfang desselben entspricht, nämlich daß die Art, wie der König seinen Staat verwaltet, an sich schon ein Beweis ist, daß er nicht daran gedenkt, geheime Anschläge gegen irgendeinen Teil seiner Untertanen in seine Regierung zu verflechten. Ein Despot, der sich nicht strenge an die Gesetze der Billigkeit und Gerechtigkeit binden will, zwischen seinem Nutzen und dem Vorteil des Ganzen einen Unterschied macht und Intrigen spinnt, um seinen Nutzen über jenen seiner Untertanen siegend zu machen, ohne daß sie es merken, müßte, wenn er den ganzen Staat selbst und allein regieren könnte, seinen Absichten gemäß entweder lauter Schöpse zu seinen Ministern und Räten wählen, die er, wie das Volk, täuschen könnte, oder er müßte einen Liebling haben, den er zur Vollziehung seiner geheimen Anschläge gebrauchte. Keines ist der Fall des Königs von Preußen. Seine Minister und Räte sind die aufgeklärtesten Patrioten. Die meisten von ihnen würden auch als Gelehrte Figur machen, wenn sie sich mit Schreiben abgeben könnten oder wollten. Von einem eigentlichen Liebling hat man hier noch nie etwas gehört. Voltaire, Marquis d'Argens 28 , Algarotti 29 , Quintus Icilius 30 und Bastiani 31 dienten ihm bloß zur Unterhaltung in seinen Nebenstunden und wußten von den Regierungsgeschäften unter allen am wenigsten, wie Voltaire öfter durch Bonmots bezeugt hat. Diese Schöngeister mußten auch immer in den Schranken der gebührenden Ehrfurcht bleiben und brachten den König nie zur Vertraulichkeit, so wenig er sie auch den Unterschied seines Standes fühlen ließ. Der König hat das große und seltne Talent, sich gegen jedermann herabzulassen, ohne sich das geringste zu vergeben. Sein Leser oder Sekretär darf ihm nicht mündlich eine Klage oder eine Bitte vorbringen. Der König scheint wirklich mißtrauisch gegen sich selbst zu sein und zu befürchten, er möchte durch eine ungefühlte und bloß durch den alltäglichen Umgang mit den Leuten in seinen Busen eingeschlichene Parteilichkeit in seinem Urteil irregeführt werden. Sein Sekretär, der täglich so viele Stunden um ihn ist, muß ihm seine Angelegenheiten schriftlich und in der Form vorlegen, an die jedermann gebunden ist. Seine Minister sind im Grunde nur Referenten und die ersten Kanäle der Exekution seiner Befehle.


Es haben schon viele Leute angemerkt, daß kein Monarch in der Welt so getreu und gut bedient wird als der König von Preußen, ob er schon seine Bedienten am schlechtesten bezahlt. Mit bloßer Strenge läßt sich diese gute Bedienung nicht erzwingen. Die Bedienten müssen fühlen, daß der Herr ihnen an Verstand überlegen ist und daß er sich strenge an den Vorschriften der Gerechtigkeit und Billigkeit hält. Sobald sie in seinem Kopf oder in seinem Herzen eine schwache Seite ausfindig gemacht haben, ist es um die gute Bedienung geschehen. Bloß der strengen Unparteilichkeit, Gerechtigkeit und dem überlegenen Verstand des Königs muß man die Tätigkeit und Ordnung in den preußischen Dikasterien 32 zuschreiben. Kein Prinz von Geblüte hat vor dem Bauer vor Gerichte nur ein Haarbreit voraus. Wenn sein Domäne oder irgendein Kronfonds mit dem Eigentum eines seiner Untertanen in Kollision kömmt, so fällt keinem Richter ein, für den König ein Vorurteil zu fassen. Im Gegenteil, er befahl bei seiner Thronbesteigung, in diesem Fall vorurteilig gegen ihn zu sein. Aus der nämlichen undespotischen Gesinnung macht er gar kein Geheimnis daraus, daß die Könige in seinen Augen eben nicht durch eine unmittelbare Verordnung Gottes über die Völker der Erde gesetzt und Statthalter des Allmächtigen hienieden sind. Er hält die königliche Würde für einen Stand, der durch menschliche Verfügungen, wie der Stand eines Generals usw., aufgekommen ist und wozu nach der einmal geltenden Ordnung bloß die Geburt den äußerlichen Beruf ausmacht. Anderswo würde man durch eine solche Behauptung in den Kerker kommen oder des Landes verwiesen werden. Er braucht die Religion ebensowenig als die politische Theorie, um sein Volk zu blenden und sein Ansehn mit Glauben und Meinungen zu unterstützen. Das Bewußtsein, daß er keiner vorsätzlichen Ungerechtigkeit und Gewalttätigkeit fähig ist, kann ihn ganz allein über diese sogenannten machiavellischen Künste hinaussetzen. Zum Beschluß meiner Beweise, daß der König nichts weniger als Despot im gewöhnlichen Verstand ist, muß ich noch bemerken, daß er keine überwiegende Leidenschaft hat. Ruhmsucht ist seine Sache gar nicht. Er verachtet alles Geschrei der Menschen von Herzen. Der große Physiognomist Lavater 33 will sogar in seinem Gesicht gelesen haben, daß er die Menschen selbst verachtet. Wenigstens glaub ich mit Zuverlässigkeit behaupten zu können, daß der König in keines Menschen Augen kleiner ist als in seinen eignen. Schmeichler sind die, welche sich am schlechtesten bei ihm empfehlen, und Schriftsteller, die ihn mit aller Bitterkeit getadelt haben, können sicher sein, daß er keine Galle gegen sie hat. Er achtet wahrlich nicht darauf. Abt Raynal 34 , welcher wirklich hier ist, ist ein Beweis davon. Nirgends in der weiten Welt wird von den Taten des Regenten weniger Lärmen gemacht als hier. Es währte lange Zeit, bis man es endlich bemerkte, was der König für seine Bauern und Armen tut. Keine der inländischen Zeitungen meldete ein Wörtchen davon, und es wäre auch nie ein Wörtchen davon gesprochen worden, wenn nicht einige Patrioten die Betrachtung gemacht hätten, daß auswärtige Hofzeitungen hinten und vorn die Posaune der Fama ansetzen, wenn der Fürst einige Batzen verschenkt oder etwas tut, was keine offenbare Sottise ist; denn wirklich las ich viele Beschreibungen von vorgeblichen schönen Handlungen verschiedener Regenten, die nur darum schön genennt wurden, weil sie nicht das Gepräge sultanischer Impertinenz hatten. Einige Preußen, die ihren König liebten, wurden durch dieses Geschrei gereizt, der Welt Beweise vorzulegen, daß ihr von den meisten Fremden so verkannter König in der Stille mehr tut als irgendein halbes Dutzend der andern Halbgötter auf der Erden zusammen. Die Welt staunte, als sie vernahm, daß der König schon seit vielen Jahren Millionen unter seine Untertanen verschenkt, und die Journalisten nahmen es ihm übel, daß er es ohne ihr Wissen tat. Es sind auch erst wenige Jahre her, daß man weiß, daß die Landtaxe in den preußischen Staaten für immer festgesetzt ist und man kein Beispiel von einer Erhöhung derselben hat, obschon dieses System so alt als die Regierung des Königs ist. Schon lange zuvor, als es unsern neuern Philosophen einfiel, gegen Todesstrafen, Folter, Langwierigkeit der Prozesse und dergleichen mehr zu schreiben, waren alle diese Dinge in preußischen Landen abgeschafft, ohne daß sich ein Schreier die Mühe nahm, das Tedeum 35 anzustimmen. Beccaria macht selbst diese Bemerkung. - Geiz ist ebensowenig des Königs Schwäche als Ruhmsucht. Niemand gibt williger her als er, wenn er sieht, daß das Geld gut verwendet wird. Das Geld ist bei ihm im Kopf und nicht im Herzen, und Ökonomie ist eine der ersten Tugenden eines Regenten. Doch hievon in meinem nächsten Brief.


Bis tief in die Mittelklasse herab herrscht unter den hiesigen Einwohnern eine Aufklärung, die man selten anderswo findet; allein der hiesige Janhagel 36 ist dagegen auch abscheulicher als irgend in einer andern großen Stadt.


Alles, was die Schwärmerei nur Lächerliches ausbrüten kann, findest du hier im Kontrast mit der aufgeklärtesten und philosophischesten Religion, die je nur an einem Ort herrschte. Es gibt hier Pietisten, Herrnhuter, Inspirierten, Wunderwirker, Teufelbanner und alle Gattungen von Narren, die es auf ihre eignen Kosten oder auf Kosten andrer Leute geben kann. Es gibt hier fromme Gesellschaften, worin ausgediente Buhlschwestern Priesterinnen oder gar Orakel sind. Man könnte ihnen ihr Psalmsingen nicht verargen, wenn sie es dabei bewenden ließen, mit David 37 über ihre welken Lenden und Rückschmerzen zu klagen, die eine Folge von ihren jugendlichen Ausschweifungen sind, wenn ihnen die Andacht nicht zum Deckmantel der abscheulichsten Verführungen und zur Befriedigung ihres Geldgeizes diente. Oft werde ich versucht, von meinem Stock Gebrauch zu machen, wenn mir eine Vettel von der Art, das Psalmbuch unter dem Arm und die in Gesellschaften mit gen Himmel erhobenen Augen von nichts als Salbung, Heiligung und den Auserwählten spricht, eine Unschuld zum Kauf anbietet, die sie mit dem Garn der Andacht gefangen hat. In den beiden Extremen von Paris, in St-Marceau in Süden und in der Gegend der Porcherons in Norden, sieht es noch viel besser aus als unter dem hiesigen Volk. Glaubst du wohl, daß ein neues Gesangbuch, welches einige patriotische Geistliche unter dem Schutz des Königs anstatt der alten unsinnigen Liederbücher einführen wollten, beinahe eine Rebellion hier veranlaßt hat?


Die Unzucht ist einer der Hauptvorwürfe, die man dem hiesigen Publikum macht. Unter andern Monopolien sind hier auch öffentliche privilegierte Bordells, die kraft ihrer Privilegien das Recht haben, das Publikum ausschließlich mit dem Bedürfnis zu versehen, welches bei gesunden Leuten nach dem Essen und Trinken gemeiniglich das erste ist, und gegen allen Unterschleif 38 zu klagen, der in den Wirtshäusern oder auch in Privathäusern mit dieser kostbaren Ware getrieben werden könnte. Die Polizei läßt die Mädchen regelmäßig visitieren, um die Ausbreitung der Lustseuche zu hemmen, und wenn sie auch nur im geringsten verdächtig sind, so müssen sie die Quarantäne halten. Es sind der öffentlichen Magazine dieser Art gegen zwölf bis fünfzehn. Auch Leute, die über dem Pöbel sind, machen öfters Lustpartien in die vornehmern unter denselben, nicht eben um auszuschweifen, sondern bloß eine Bouteille Wein oder einen Kaffee in Gesellschaft mutwilliger Mädchen zu trinken. Die Sache hat hier gar nichts Anstößiges, und ich habe junge Herren sogar in Gesellschaften von Damen von ihren Expeditionen in diesen Häusern ohne allen Scheu sprechen hören. In den meisten derselben soll ziemlich viel Reinlichkeit herrschen, und die Priesterinnen der Venus sollen hier nicht so unverschämt und so ganz ohne sittliches Gefühl sein, als sie sonst gemeiniglich zu sein pflegen. Da die Sache öffentlich und unter den Augen der Polizei geschieht, so mögen diese Ausschweifungen freilich nicht das Gepräge der viehischen Wildheit und Abscheulichkeit haben, welches die Wollust an den Orten, wo man sie ins Dunkle verscheucht, auszuzeichnen pflegt. Die Mädchen behalten ohne Zweifel noch einiges Selbstgefühl, weil sie sich von der Polizei geschützt und sich vom größten Teil des Publikums, wo nicht geehrt, doch nicht so verachtet sehen, als sie es an andern Orten sind.

Es ist hier nichts Seltenes, daß fremde oder auch eingeborne Celibataires 39 mit einem Mädchen und dem Eigentümer desselben, nämlich dem Wirt, auf eine bestimmte Zeit einen förmlichen Kontrakt schließen. Man hat selten ein Beispiel, daß dieser Kontrakt von dem Mädchen gebrochen wird. Es bleibt gemeiniglich während der bedungenen Zeit seinem Käufer getreu. Es faßt auch zu demselben eine gewisse Anhänglichkeit und einen wahren Diensteifer, den man von Kreaturen seiner Art an andern Orten nicht erwartet. Ich habe einige Bekannten hier, die sich mit solchen Mädchen verbunden haben,und, wenn sie unpäßlich sind, sehr regelmäßig von denselben besucht und bedient werden. Da die meisten derjenigen, die nicht aus den Höhlen sind, worin sich die Grenadiers herumtaumeln, etwas Lektüre und Erziehung haben, so sind sie keine schlechte Trösterinnen und Aufwärterinnen am Krankenbette. Ein Irländer, mit dem ich vertraut bin und der sich seit einigen Jahren hier aufhält, erzählte mir ein Beispiel, das vielleicht einzig in seiner Art ist. Die Wirtschaft dieses Herrn kam durch verschiedene Ausschweifungen in Unordnung, und eine Krankheit setzte seine Gläubiger noch mehr in Unruhe. Er hatte in einem Bordell ein Mädchen kennengelernt, das ihn vorzüglich interessierte. Er fand sich mit dem Wirt ab und nahm das Mädchen zu sich ins Haus. Dieses wartete nicht nur seiner mit dem größten Fleiß, sondern interessierte sich auch um seine Wirtschaft. Es fing für ihn ein so sparsames Menage 40 an und hielt ihm so genaue und getreue Rechnung, daß er in Zeit von einem halben Jahr aus seinen Schulden war, welches er für ein Wunder hielt. Nachdem sich seine Umstände gebessert hatten, führte es seine Wirtschaft noch einige Zeit fort, und er war stolz auf die gute Art, womit es die Honneurs 41 für ihn zu machen wußte, wenn er in seinem Haus Gesellschaft hatte. Eine Reise, die er nach Dresden machen mußte, trennte ihn von seiner Erretterin. Sie wollte sich mit dem begnügen, was er ihr für die Woche bedungen hatte. Allein er gab ihr soviel Beweise seiner Erkenntlichkeit, als ihm seine Umstände erlaubten, und sie ging wieder in das Haus, worin er sie kennenlernte und worin sie wirklich noch ist. Beispiele von der Art beweisen offenbar, daß die Maßregeln der hiesigen Polizei der Natur angemessener und weiser sind als jener in andern Städten, wo die ins Dunkle verscheuchte Wollust alle gesellschaftlichen Bande trennt und immer von der Raubbegierde begleitet wird.


Wenngleich die privilegierten Hurenwirte so gut als die Brennholzgesellschaft ihren Alleinhandel auf alle Art zu verteidigen berechtigt sind, so ist die Ware doch zu schlüpfrig, als daß man dem Schleichhandel wehren könnte. Jedes alte Weib aus der untern Klasse, jeder Lehnlakai, jeder Kell[n]er in einem Wirtshaus und fast jeder Wirt selbst kuppelt. Ich kenne auch einige Ärzte, welche sich damit abgeben und vielleicht mehr dadurch gewinnen als durch ihre Kunst. Es ist hier unter andern vortrefflichen Polizeianstalten auch ein Adreßcomptoir für Dienstmägde, welches die frische Ware sowohl in die Privathäuser als auch für die öffentlichen Magazine liefert. Aber alle diese Schleichhändel kommen dem ausgebreiteten Verkehr nicht bei, der mit den Weibern getrieben wird. Das eigentliche Cicisbeat ist hier nicht eingeführt, und es ist auch gar nicht nach dem Geschmack der hiesigen Damen. Sie lieben die Abwechslung und den augenblicklichen Genuß zu sehr, als daß sie sich an einen Gegenstand und an eine gewisse Ordnung binden sollten. Hier ist es gar nichts Seltenes, daß sich Frauen von Ansehen fast ohne Zurückhaltung um junge Leute bewerben, sie mögen von einem Stand sein, von welchem sie wollen, wenn sie nur die Miene von wackern Rittern haben. Bessere Ehemänner gibt es in der Welt nicht als unter einem gewissen Teil der hiesigen Einwohner. Die Leichtigkeit der Ehescheidungen trägt wohl das meiste dazu bei. Die Eheleute sind hier durch nichts zusammengebunden als durch ihr gegenseitiges augenblickliches Interesse. Sobald ein Teil dem andern zu Last wird oder einer die Aussicht hat, eine bessere Partei treffen zu können, so kostet es ihn nur eine Anzeige am gehörigen Ort, um seiner beschwerlichen Hälfte loszuwerden. Der förmliche Weibertausch ist hier gar nichts Seltenes. Zwei Ehemänner, deren jeder mit des andern Weib bekannt wurden, vertauschen ihre Gattinnen gegeneinander mit einer Kaltblütigkeit, die in unserm Weltteil kein Beispiel hat. Die Frau, welche mit einem neuen Liebhaber eine Partei treffen will, bespricht sich gar freundschaftlich und offenherzig darüber mit ihrem Mann und hat, wenn er in keinen guten Umständen ist, öfters noch Mitleiden genug mit ihm, um ihm ihre Base oder sonst eine Person von ihrer Bekanntschaft zu verkuppeln, ehe sie sich von ihm scheidet. So rouliert eine Frau in wenig Jahren durch drei bis vier Familien und tut in Gesellschaften, wo sie einige ihrer ehemaligen Ehemänner trifft, als wenn sie dieselbe nie gekannt hätte.


Durch diese Polizeiverfügungen müssen die Einwohner von Berlin nun freilich mit der Zeit alle zu Bastarden werden. Allein die wesentlichsten Wirkungen rechtfertigen hier wieder des Königs Grundsätze. Berlin ist nach den öffentlichen Listen die einzige große Stadt in Europa und vielleicht die einzige in der Welt, wo die Anzahl der jährlich Gebornen jene der Verstorbenen weit übersteigt. Diese unbezweifelte Tatsache wiegt auf der Waage der Philosophie mehr als alle Deklamationen und das ganze Korpus der geistlichen Rechte, die den Ehescheidungen so gram sind.


So auffallend dieses Verkehr der Liebe jedem Fremden sein mag, so glaube ich doch, daß hier nicht mehr noch weniger ausgeschweift wird als in jeder andern Stadt von gleicher Bevölkerung. In welcher Stadt, die nur den zehnten Teil so groß ist als Berlin, fehlt es an Gegenständen zur Befriedigung der Wollust? Das Offene und Ungezwungene, welches ganz allein die Sache hier auffallend macht, ist so wenig ein neuer Reiz zu Ausschweifungen, daß es nach der allgemeinen Bemerkung vielmehr die Hitze dämpf t, die eine Folge strenger Verbote ist. Man findet hier auch in den untern Volksklassen noch soviel eheliche Treue als an irgendeinem andern gleich großen Ort; und würde es zu Paris, London, Madrid und an andern Orten nicht besser sein, wenn man die Ehescheidungen unter den Leuten der höhern Klasse einführte, als wenn man den Männern erlaubt, im Angesicht ihrer Weiber Mätressen zu halten? Unter den durch eine Scheidung neu gestifteten Ehepaaren herrscht doch wenigstens auf einige Zeit wieder Liebe, Treue und häuslicher Friede, dahingegen der Zwang des Ehebandes den Personen, unter welchen der Hausfriede einmal gestört ist, das Leben zur Hölle macht, die Bevölkerung hemmt und ein neuer Reiz zu Ausschweifungen wird, den man hier nicht kennt. Die Publizität hat keine andre Wirkung, als daß sie die Wollust unschädlicher macht und die Laster hemmt, welche die schrecklichsten für die Menschheit sind. Kindermorde, Onanie und der Gebrauch von Sukzessionspulvern 42 sind hier seltener als an irgendeinem andern Ort, und die Lustseuche, welche Paris, London, Wien, Madrid, Lissabon und andere Städte zu bloßen Spitälern macht, in ganzen Distrikten von Frankreich und Spanien die Lebensquelle verpestet und verstopft hat und Enkel und Urenkel noch die Ausschweifungen ihrer Ahnen büßen läßt, ist hier nach dem Verhältnis noch sehr wenig eingerissen. Die Frauen, die hier ihrem Temperament nachhängen, bringen doch noch Kinder zur Welt, dahingegen die von Paris und Wien entweder ganz unfruchtbar sind oder, nach Art der römischen Damen zu Juvenals 43 Zeiten, nicht gebären wollen. Die Zahl der Totgebornen zu Wien beläuft sich jährlich auf mehr als 400 und jene der Kinder, die im ersten Jahre sterben, auf ohngefähr 5.000. Wer zählt die, an welchen die Gewalttätigkeiten der unnatürlichen Mütter, die ohne Zweifel viel zu der großen Zahl derjenigen beitragen, welche im ersten Jahre ihres Alters sterben, früher und wirksamer anschlagen? Die Damen von Madrid, wie mich einer meiner Bekannten versicherte, abortieren, wenn's ihnen beliebt. Auch die von Lissabon sollen es in dieser unmenschlichen Kunst sehr weit gebracht haben. Hier ist sie fast ganz unbekannt, und ich glaube, man braucht sonst keinen Beweis, daß hier die Polizei weiser und die Wollust nicht so abscheulich und menschenfeindlich ist wie in andern Städten, als die oben erwähnte Tatsache, nämlich daß die Anzahl der Gebornen jene der Gestorbenen jährlich um einige Hundert übersteigt, dahingegen zu Paris und London jährlich 3-bis 4.000, zu Wien aber 1- bis 2.000 weniger geboren werden als sterben.


So gerne ich dem hiesigen Publikum seine Paillardise 44 verzeihe, so wenig kann ich in andern Stücken mit ihm zufrieden sein. Der Engländer Sherlok sagt, wenn die Sachsen die deutschen Athenienser seien, so seien die Preußen die deutschen Spartaner. Die Verfassung der Armee, die Frugalität des hiesigen großen Haufens, die eine Folge seiner Armut ist, die Gemeinschaft der Weiber, vorzüglich aber der allgemeine Hang desselben zum Stehlen und Betrügen, den die Staatskunst der Lazedämonier begünstigt haben soll, um den Witz der Jugend zu schärfen, sind freilich spartanische Charakterzüge. Gegen öffentliche Räubereien setzt einen die hiesige Polizei sicher genug; allein man kann sich nicht genug in acht nehmen, um nicht auf eine Art betrogen zu werden, welche die Polizei nicht rächen kann. In der ersten Woche gab ich einen der feinsten Lyoner Hüte, den ich erst kurz zuvor zu Leipzig gekauft hatte, einem hiesigen Hutmacher zum Ausputzen, weil er mir auf der Reise staubicht geworden war. Auf den bestimmten Tag holte ich ihn selbst bei ihm ab und schrieb das Rauhe, welches er bekommen hatte, der schlechten Farbe zu, die er gebraucht haben mochte. Ich trug ihn einen Tag, ohne einen Betrug zu ahnden; allein schon den zweiten Tag hatte mein Hut alle Steife verloren, war lumpicht und so mürbe und zerfetzt, daß ich überall mit dem Finger durchstoßen konnte. Ich sah nun, daß mein Hut, der einen Louisdor gekostet, gegen einen Lumpen vertauscht war, den der spartanische Hutmacher mit einem Geschmiere von Leim und Schwärze für einen Augenblick aufgesteift hatte. Ich sprach mit ihm; er wußte aber von keinem andern Hut, den ich ihm gegeben hätte. Du bist in Gefahr, täglich auf diese Art betrogen zu werden, und du wirst es gewiß am ersten, wenn du deine Maßregeln recht sorgfältig genommen zu haben glaubst. Du mußt dich in alle Mausereien und in alles, quod suasisset egestas, vfle nefas resignieren 45 .

Da hier Licht und Schatten durchaus sehr stark sind, so ist der bessere Teil des hiesigen Publikums von ebenso edler Denkensart, als niederträchtig der Janhagel in seinem Betragen ist. Zur tiefen Beschämung des ungeheuer reichen Wiens hat man hier Armenanstalten, welche dem Anschein nach alle Kräften der Einwohner übersteigen sollten, da man hingegen zu Wien keine Spur davon findet. Jede Gemeinde der verschiedenen Glaubenssekten hat ihre beträchtliche Kasse, welche zur Unterhaltung ihrer Hausarmen hinreicht. Man hat Beispiele von schönen Handlungen einzelner hiesigen Bürger, die man zu Wien kaum glauben würde, und wenn man bedenkt, daß unter dem hiesigen Janhagel eine ungeheure Menge zusammengelaufener Fremden ist, so kann man die Niederträchtigkeit desselben um so weniger für einen Zug des Nationalcharakters halten, da sie in den andern Städten, Potsdam ausgenommen, und auf dem platten Lande sehr selten ist.

Unter den verschiedenen öffentlichen Vergnügungen ziehe ich, wenigstens zu der jetzigen Sommerzeit, das Spazieren in dem hart bei der Stadt auf der Südseite der Spree liegenden Park weit vor. Ich habe noch keinen schönern öffentlichen Spazierplatz gesehen. Die Mannigfaltigkeit des Gehölzes, der Alleen, Gebüsche, bedeckten Gänge und Irrgärten übertrifft alle Phantasie. Er hat weit über eine Stunde im Umfang und auch Wasser genug, um ihm mehr Leben zu geben, als die Spazierplätze großer Städte gemeiniglich zu haben pflegen. Ein Teil desselben berührt die Spree. Schade, daß man ihn nicht hart unter der Stadt über den Exerzierplatz und den königlichen Holzmarkt bis an den Fluß gezogen hat, an dessen Ufer man in dieser Gegend, sowohl abwärts des Stromes als auch aufwärts, in einen Teil der Stadt eine ungemein schöne Aussicht beherrscht.


In diesem Park sieht man auf die Sonntäge Berlin in seinem Glanz. Er ist für das hiesige Publikum, was die Tuileries 46 für die Pariser sind, nur ist das Gemische der Spazierenden hier mannigfaltiger. Er wird vom Pöbel und der feinern Weit gleich stark besucht. Man fährt und reitet darin ohne Einschränkung herum. Auf einigen Plätzen desselben findet man, wie in den Tuileries, große und prächtige Zirkel von Damen auf Ruhebänken sitzen, und die Freiheit, sie zu beschauen und sie unter die Nase zu beurteilen, ist hier so groß als zu Paris. Man trifft hier auch zu gewissen Zeiten einen großen Teil der hiesigen Gelehrten beisammen. Man hat Erfrischungen von jeder Art. Man spielt, verirrt sich mit Damen oder Mädchen in einsame Gebüsche, verabredet Zusammenkünfte, und es steht hier nicht, wie zu Wien, immer ein Polizeidiener auf dem Sprung, einem verirrenden Paar auf dem Fuß nachzuschleichen.


Die große Königliche Oper, die man für eine der besten in Europa hält, konnt ich noch nicht sehn. Außer dem Winter spielt sie höchst selten. Es ist sonst wirklich kein Schauspiel hier, außer einem deutschen sehr mittelmäßigen Theater, welches sich mit den deutschen Schauspielen zu Wien und München nicht vergleichen läßt. Der Entrepreneur desselben, Herr Döbbelin, hat sehr sonderbare Grundsätze. Er setzt seine Stärke bloß in die große Anzahl von Schauspielern, unter welche er die Rollen nach dem Los zu verteilen scheint. Ich habe gar oft bemerkt, daß der, welcher den Bedienten macht, viel mehr Geschick hatte, die Rolle seines Herrn zu spielen, der nach der Ordnung der Natur die Stelle des Bedienten hätte vertreten sollen. Unter vierzig bis fünfzig Subjekten hat er kaum vier, die man zu Wien erträglich finden würde. Nebst dem ist seine Garderobe seltsam arrangiert. Ich sah zwei Stücke in spanischer Kleidung spielen, die doch bekanntlich nicht mehr existiert. Das Zeitalter der Stücke war neu. Mitten unter Kleidungen aus dem fünfzehnten Jahrhundert erblickt man öfters, besonders an Frauenzimmern, eine ganz moderne. Selten verändert das Frauenzimmer seine Coiffure, und wenn der Schauplatz auch in Indien wäre. Und doch macht Herr Döbbelin viel Aufsehens von seiner Garderobe und seinem richtigen Kostüm. Sein Theater ist so klein, daß einige seiner Schauspieler sich wohl in acht zu nehmen haben, damit die Wolken des Himmels über ihnen nicht in ihren Haaren hängenbleiben. Ich sah Bäume auf demselben, die gar füglich den Akteurs zu Spazierstöcken hätten dienen können. Einige seiner Subjekte sind Gerippe, an denen der Hunger alles Fleisch abgenagt hat, und manche sind kaum Meister von ihren Beinen und Armen, woran vermutlich die Aktricen 47 schuld sind, wie man auch aus ihrer hohlen Stimme schließen kann. Herr Döbbelin gibt Gagen von sechs und acht Gulden die Woche, wobei seine Leute freilich nicht viel Schnellkraft in ihren Körpern haben können. Ohnmachten sind daher ihre Stärke, und zwei bis drei von seinen Frauenzimmern übertreffen alles, was Ohnmacht heißen mag. Sie fallen, nach dem Sprüchwort, zusammen wie die Taschenmesser, wenn's zu einer Ohnmacht kömmt, und wenn sie dann im Fallen die Schminke rein vom Gesicht weggewischt haben, so sehen sie aus wie die leibhaften Gespenster. Auch im Sterben sind sie nicht zu verachten. Besonders künstlich sah ich vor einigen Tagen einen seiner Akteurs in einem deutschen Originalstück sterben, worin viel gestorben werden muß. Der Mann lag, nachdem er seinen Teil bekommen hatte, der Länge nach auf der Erde ausgestreckt, einige Sekunden lang ohne alle Bewegung. Endlich war's, als wenn seine Seele in einer schnellen Wut seinen ganzen Körper durchstreifte, um sich einen Ausweg zu öffnen. Erst rennte sie in die Füße, die Konvulsionen bekamen, und dann wieder durch alle Glieder in den Kopf zurück, wo sie die Augen des Sterbenden gräßlich verdrehte. Er bäumte sich, daß einer unter seinem hohlen Rücken gemächlich hätte durchkriechen können. Vermutlich wollte seine Seele in diesem Augenblick zum Bauch heraus. Der Mann mochte stark im Balancieren sein; denn in den Todeszuckungen kam er einmal in eine der schwersten Stellungen für den menschlichen Körper, die man sonst zur Folter braucht. Er erhob den Oberteil des Körpers und zugleich die Beine so hoch, daß er wirklich bloß auf dem untersten Knochen des Rückgrates ruhte. In dieser Lage wollte seine Seele ohne Zweifel zur Hintertür heraus. Er warf sich hierauf noch einigemal von einer Seite zur andern und gab endlich seinen Geist auf, wie ich aus dem betäubenden Geklatsche schloß, das sich auf einmal erhob; denn ich war gefaßt, ihn wenigstens noch eine Viertelstund lang seine Sterbekünsten machen zu sehn, und hatte an ihm nicht das geringste bemerkt, welches man für ein gewisses Zeichen seiner Hinscheidung hätte halten können. Vielleicht hatte er gesagt, daß er jetzt tot sei, und ich hatte es nicht gehört. - Ich bin zu umständlich hierüber, um dir einen richtigen Begriff vom jetzigen Zustand des deutschen Theaters zu geben. Sterben ist für jeden Schauspieler die Hauptsache, und wenn er seinem Tod, wie der oben beschriebene Sterber, recht viel Leben zu geben weiß, so kann er sicher auf den lauten Beifall des Parterres rechnen. Die tragische Wut, welche in Deutschland vom Adriatischen Meer bis an die Ostsee herrscht, sollte einen Fremden glaubend machen, die deutsche Nation bestünde aus lauter Mördern, Scharfrichtern, Vater- und Brudermördern, rasenden Liebhabern, Jungferräubern und dergleichen mehr. Die meisten ihrer neuern Romane atmen den nämlichen kannibalischen Geist.

Berlin, eine Stadt von 142.000 Menschen, die Garnison mitgerechnet, ist nicht imstand, ein gutes Schauspiel zu unterhalten; denn ich schreibe es bloß dem Mangel an Unterstützung zu, daß Herr Döbbelin die Hälfte seiner Leute hungern läßt und in einem Gebäude spielt, welches man in jeder andern großen Stadt für ein Winkeltheater halten würde. - Diese Stadt ist gewiß in diesem Punkt einzig. Man sollte glauben, die acht- bis neunhundert Offiziers, welche hier sind, wären allein hinlänglich, um eine Schauspielergesellschaft bei Fleisch zu erhalten. - Gewiß ist dies der stärkste Beweis von der Armut und Sparsamkeit des hiesigen Publikums.


Man hat sich nicht zu wundern, daß das Publikum der großen Städte der preußischen Monarchie den Schauspielern ebenso ungünstig ist als jenes der Hauptstadt. Die große Arbeitsamkeit, welche in denselben herrscht, muß diese Wirkung haben, dahingegen die Hauptstadt der Mittelpunkt aller Müßiggänger des Landes ist, deren Anzahl zwar jener in andern Staaten nicht gleichkommt, aber doch hinreichend sein sollte, um ein paar Dutzend Schauspieler nicht hungern zu lassen. Man kann dieses Paradoxon dadurch erklären, daß die Müßiggänger, wenn sie auch ihr festes und gemächliches Einkommen haben, hier doch im Grunde sehr arme und gestrafte Leute sind. Es ist eine Folge von dem weisen Finanzsystem des Königs. Der industriöse Teil des hiesigen Publikums empfindet die Teurung der Lebensmittel nicht, die eine Folge der Akzise und Monopolien ist, weil er seinen Arbeitslohn nach dem Verhältnis derselben anschlägt. Allein der, welcher von seinen Renten und Gütern und von der Besoldung lebt, fühlt ihre ganze Last und kann unmöglich das Gleichgewicht zwischen seinen Renten und dem arbeitenden Publikum, zu dessen Vorteil dasselbe ist, herstellen. Wenn er gemächlich und im übrigen seinem Stand gemäß leben will, so macht die Ausgabe für das Theater ein zu wichtiges Item in seinen Rechnungen. Die arbeitenden Leute gehen also nicht ins Schauspiel, weil Arbeitsamkeit sparsam macht, und die Müßiggänger, weil sie hier arm sind.


Ich kenne keinen unterscheidendern Zug im Charakter der Preußen und Österreicher als das Theater. Die preußische Monarchie hat doch viele ansehnliche Städte. Königsberg zählt etwas über 60.000 Seelen, Breslau hat über 40.000, Stettin, Magdeburg und Potsdam enthalten beinahe 30.000 Einwohner und drüber. Frankfurt an der Oder, Halle, Wesel, Emden und einige andre sind Städte von 18 bis 25.000 Einwohnern. Von 8 bis 10.000 Seelen gibt es eine große Menge. Und doch können sich in diesem ganzen Lande zwei Schauspielergesellschaften kaum des Hungers erwehren! Im Österreichischen hingegen findet man in jedem Städtchen ein Theater. Ich fand zu Linz, zu Wienerisch Neustadt, zu St. Pölten und sogar zu Krerns Schauspielergesellschaften. Die größern Städte, als Prag, Preßburg, Graz, Brünn und andere mehr, haben alle ihre beständigen Theater. Der Reichtum macht diesen Unterschied nicht; denn Wien ausgenommen, welches vom Mark der ganzen Monarchie und auch von einem Teil des Markes von Deutschland fett wird, ist in den preußischen Städten ungleich mehr Geld als in den österreichischen, obschon in jenen keine adeligen Häuser von 50-, 100- bis 200.000 Gulden sind. Unter der Mittelklasse der Einwohner der preußischen Provinzialstädte herrscht ein Wohlstand, von dem man sich in jenem der österreichischen Monarchie, die Lombardei und die Niederlande ausgenommen, keinen Begriff machen kann. Bloß die größere Industrie der Preußen und die von ihr unzertrennliche Sparsamkeit macht diesen Unterschied. Die österreichischen Städte wimmeln von Müßiggängern, Taugenichtsen und Verschwendern, welche dagegen in den preußischen Städten die seltenste Menschenart sind. Nebst dem macht die Aufklärung und Sittlichkeit des bessern Teils der Einwohner der preußischen Landstädte dieselbe aufgelegt, reinere Vergnügen zu schmecken, als Theater, Tanzböden, Tische und Keller gewähren können. In den kleinsten preußischen Landstädtchen findet man mehr Geselligkeit als in mancher großen Stadt in Österreich, und in der erstern wird von Privatleuten gewiß auch mehr Gutes getan als in einer der letztern. -


Schon lange wirst du gewünscht haben, ich möchte dir etwas von dem künftigen Kronerben Preußens sagen. Die öffentlichen Nachrichten, die man von ihm hat, sind ebenso lächerlich als widersprechend. Ein deutscher Journalist ist sogar unverschämt genug zu behaupten, der König habe die Bildung des Prinzen vernachlässigt, damit seine Regierung durch den Schatten der Verwaltung seines Nachfolgers mehr Licht in den Augen der Nachwelt erhalte. Dummer und abscheulicher kann weder der König noch der Prinz gelästert werden. Der Prinz von Preußen ist nicht nur ausgebildet, sondern der König sucht ihn auch auf alle Art an sein Regierungssystem zu attachieren 48 . Sein heftiges Temperament riß ihn in der Jugendhitze zu einigen Ausschweifungen hin; allein er wird nun immer kälter und gesetzter. Er ist nach dem Zeugnis des Königs selbst, der nicht gerne lobt, ein großer General, und alle Leute hier, die ihn kennen, versichern, daß er auch ein großer Staatsmann ist. Er liebt die Wissenschaften und Künste, und, was ihn den deutschen Journalisten besonders wert machen sollte, er denkt für die deutsche Literatur günstiger als sein großer Onkel. Man macht ihm den Vorwurf, er sei verschlossen und kenne die Freundschaft nicht. Dieses war eine Folge von seinem ehemaligen Betragen, welches er eben nicht aufs genaueste nach seinen bessern Einsichten abmaß und ihn die Zeugen und Referenten scheuend machte. Es ist zugleich ein Beweis, daß der König von jeher ein wachsames Auge auf seine Aufführung hatte. Seit mehrern Jahren hat sich das sehr geändert, und sein Charakter hat sich nun zu seinem Vorteil fast ganz entwickelt. Er ist würdig, sich an die Reihe großer Regenten anzuschließen, die seit hundert Jahren durch ein Wunder, von welchem die Geschichte kein Beispiel hat, den preußischen Staat fast aus nichts zu einem der fürchterlichsten Staaten von Europa gebildet haben.


Nichts als ein kleiner Zug von Prachtliebe und zu wenig eingeschränkter Freigebigkeit macht den preußischen Patrioten nach dem Tod des jetzigen großen Regenten eine Änderung befürchtend. Es ist wahr, dieser Fehler kann für die preußische Monarchie, die bloß auf Simplizität und Sparsamkeit gebaut ist und keine andre Stärke hat als ihre strenge Ökonomie, unter allen der verderblichste sein. Allein der König, welcher dieses besser einsieht als irgendein anderer und von jeher für den Prinzen und sein Land ein sorgfältigerer Vater war, als der oben berührte Journalist wähnt, ließ denselben auch einigemal schon das Unangenehme fühlen, welches eine Folge unökonomischer Grundsätze ist; und wenn der Prinz auch nicht mehr bei Lebzeiten seines hohen Onkels das System der Sparsamkeit desselben annehmen sollte, so wird nach seiner Thronbesteigung ein halbes Jahr hinreichend sein, ihn zu überzeugen, daß er es annehmen müsse. Der preußische Staat ist ein Uhrwerk, welches stillesteht, sobald nur ein Zahn eines Rädchens fehlt, und der Prinz hat Klugheit, Tätigkeit und Ehrgefühl genug, um den bündigen Lehren der Erfahrung Gehör zu geben und seinen Staat durch seine Indolenz nicht sinken zu lassen.


Die Einkünfte der Prinzen und Prinzessinnen von Preußen sind eben so eingeschränkt nicht, als man glaubt. Jeder Prinz hat, wenn er majorenn 49 ist, 50000 Taler Apanage, und die Brüder des Königs haben, so wie der Erbprinz, nebst dem noch sehr beträchtliche Einkünfte von Gütern und Stellen. Der Prinz Heinrich kommt beinahe auf 400.000 und der Erbprinz auf ohngefähr 350.000 Livres zu stehen. - Beide reichen das Jahr durch mit ihren Einkünften nicht aus. Der König versagt ihnen im Notfall seine Hülfe sowenig als seine brüderlichen und väterlichen Ermahnungen. - Überhaupt ist es seine Art, bei Geldauslagen Bemerkungen zu machen und Ermahnungen und Verweise zu geben. Demohngeachtet zahlt niemand richtiger als er, und man hat kein Beispiel, daß er an einer gewissenhaften Rechnung nur einen Kreuzer abgezogen hätte.


Ich muß dir noch einige Charakterzüge des Königs mitteilen, der von vielen so sehr verkennt wird. Ich will keine der Anekdoten wiederholen, die häufig von ihm bekannt sind und ihm als Regenten und Privatmann soviel Ehre machen als seine Kriegestaten. Was ich dir zu sagen habe, betrifft sein Betragen gegen Leute, mit welchen er unzufrieden sein könnte, welches seine gemäßigte und undespotische Denkensart am besten an den Tag legt, und dann seine genaue Kenntnis des Zustandes aller europäischen Staaten und seinen durchdringenden Blick in die Kabinette der verschiedenen Mächte.

Ich kenne zwei Leute, die eine Zeitlang vom König zu wichtigen Staatsgeschäften gebraucht wurden. Beide sind Aventuriers 50 von der ersten Klasse. Der eine hat einiges Talent, welches aber mehr blendenden Glanz als echten Gehalt hat, weil seine Kenntnisse zu sehr auf sein Fach eingeschränkt sind und er die Verbindung desselben mit andern politischen Gegenständen gar nicht kennt. Der andre hielt die Hände nicht rein genug, wozu ihn mehr sein Hang zu Ausschweifungen als sein Eigennutz oder eine schändliche Gewohnheit verleitete. Beide setzten den König in beträchtlichen Schaden. Sie bekamen von der dritten Hand einen Wink und entfernten sich - zu verschiedenen Zeiten - von Berlin. Die Sache hatte weiter kein Aufsehen gemacht. Es fügte sich nachher, daß beide, der eine an der Ostsee und der andre am Niederrhein, dem König Dienste tun konnten. Alle Leute, die ehedem mit dem König in einiger Verbindung gestanden sind, wenn sie auch Beschwerden gegen ihn zu haben glauben, behalten immer noch einen Diensteifer für ihn in ihrem Busen, der mehr als irgend etwas anders beweist, daß der König das Gerade und die Billigkeit liebt und feste Grundsätze hat, die alle Menschen, welche ihn umgeben, gegen willkürliche und gewalttätige Verfügungen, gegen sultanische Launen und fürstliche Possen sichersetzen. Der nämliche Diensteifer, der mehr eine Folge wahrer Hochachtung und Zuneigung als des Eigennutzes ist, bewegte die zwei Flüchtlinge, an den König zu schreiben und ihm von der Lage der Dinge Nachricht zu geben, worin sie ihm dienen könnten. Dies geschah immer zu sehr verschiedenen Zeiten, und ihre Umstände hatten gar keine Verbindung miteinander. Der König nahm ihr Anerbieten an, belohnte sie nach dem Maß ihrer Dienste, und ob er schon mehrere Briefe, wovon ich einige gesehen, mit eigenhändiger Unterschrift ihnen zuschickte, so berührte er doch ihre ehemalige Aufführung in seinen Diensten mit keinem Wort. In mehr als einem Brief waren offenbare Spuren, daß er es aufs sorgfältigste auswich, sie auch nur in der größten Ferne an das Vergangene zu erinnern. Noch mehr: Der eine von ihnen ist seit drei Jahren wieder hier und hat mehrmalen die Ehre gehabt, den König mündlich zu sprechen, ohne daß er nur einen zweideutigen Wink auf seine alte Geschichte bekommen hätte.


Einige Anekdoten, die man mir hier für zuverlässig gab und die ich mich nicht erinnere, gedruckt gelesen zu haben, beweisen, daß dies Betragen des Königs gegen die zwei besagten Aventuriers keine Folge von dem Eigennutz desselben war, sondern auf Grundsätzen beruht, die er gegen jedermann beobachtet. - Der Minister ** war im letzten Schlesischen Krieg Major. Da er ungemein große militärische Talente hatte, so gab ihn der König dem General Hülsen, der brav wie sein Degen, aber kein Denker war, auf einige der wichtigsten Expeditionen zum Adjutanten. Der König gebraucht zu gewissen Operationen gerne Leute mit eisernen Köpfen, die anrennen, ohne zu befürchten, sich ein Loch in die Stirne zu stoßen; aber dann steht sicher ein Adjutant hinter ihnen, der ihnen die Direktion gibt. Der Major tat seine Schuldigkeit, und der König war so wohl mit ihm zufrieden, daß er sich schnelle Beförderung versprach. Diese erfolgte aber nicht. Der Herr Major hatte zuviel Salz in seinem Humor und machte einige sehr beißende Bemerkungen über die Kriegsoperationen des Königs. Dieser erfuhr es und begnügte sich damit, seinen dreisten Rezensenten wissen zulassen, daß er "ein naseweises Herrchen" wäre. Der Major glaubte, es wäre nun um seine Promotion gänzlich geschehen, setzte sich in einer Provinzialstadt in Ruhe und philosophierte wie ein förmlich Disgraziierter 51 . Der König fing nach einiger Zeit an, sich um denselben zu erkundigen. Man sagte ihm, er studiere zu seinem Vergnügen die Politik, die Finanzwissenschaften und dergleichen mehr. Der König ließ es noch einige Zeit gut sein; als er ihn aber reif zu sein glaubte, beförderte er ihn zu einer der ansehnlichsten Stellen in der Provinz, und da er sich allda durch seine Verdienste sehr auszeichnete, ward er endlich gar ins Ministerium gerufen. Nie wurde er nur in der größten Ferne daran erinnert, was zwischen ihm und dem König ehedem vorgefallen. - Quintus Icilius ward einst wegen einem seiner Werke von jemand in einer Schrift erbärmlich mitgenommen. Er wollte einige Zeit hernach wieder etwas unter die Presse geben und bat den König deswegen um Erlaubnis. "Ich habe nichts dawider", antwortete Seine Majestät. "Sie müssen Herrn N., Ihren Rezensenten, um Erlaubnis fragen!" Das wurmte dem Quintus Icilius. Autorstolz war seine schwache Seite. Aus einer kleinen Rachsucht blieb er einige Abend aus der gewöhnlichen und alltäglichen Gesellschaft des Königs. Als der König glaubte, sein Autorzorn werde sich gelegt haben, ließ er ihm sagen, er habe mit Vergnügen vernommen, seine Unpäßlichkeit wäre vorüber, und er erwarte ihn deswegen diesen Abend zur gewöhnlichen Stunde. Quintus fand sich ein, und kein Blick, keine Miene, keine Frage setzte ihn in Verlegenheit. Der König kam derselben mit Leitung des Gespräches auf gleichgültige Gegenstände und mit einer Artigkeit zuvor, die einem Partikulier 52 Ehre machen würde und die nur einem großen Menschenkenner, Menschenfreund und Weltmann eigen ist. Man hat noch sehr viele Züge von der Art, welche beweisen, wie unsultanisch der König von Preußen denkt und handelt.


Indessen die preußische Regierung so allgemein verkannt wird, indessen auch diejenigen Höfe, welche die Anstalten Friedrichs aufs genaueste nachzuahmen suchen, doch nie in den Geist seiner Staatsverwaltung eindringen und gemeiniglich das für den Endzweck halten, was bei ihm nur Mittel ist, oder auch, wegen Mangel an durchgedachten Grundsätzen, gerade das, was das Einfachste und Offenste in seiner Regierung ist, als eine künstliche und geheimnisvolle Täuscherei betrachten, indessen die Regenten Europens noch nicht einmal dazu aufgelegt sind, Friedrichs Regierungssystem kennenzulernen, ist er mit der Verfassung, Verwaltung und den äußern Angelegenheiten auch der kleinern europäischen Staaten aufs genaueste bekannt. Er kennt Frankreich vielleicht besser als unser ganzes Ministerium. Ich bin von guter Hand versichert worden, er habe vier Personen in verschiedenen Gegenden unsers Vaterlandes einige Jahre lang reisen lassen, um genaue Kundschaft von der Bevölkerung, dem Anbau, dem Ertrag und besonders von den Manufakturen unserer Provinzen einzuziehen. Gewiß weiß ich, daß er auf diese Art die österreichischen Provinzen besser kennenlernte, als man sie zu Wien selbst kennt. Die Anekdote vom König in dem Discours preliminaire 53 des Buches "Grande tactique et manoeuvres de guerre suivant les principes de sa majesté prussienne" etc., wo sein Gesandter zu Paris, Lord Marschall, unserm Minister der auswärtigen Geschäfte über den Zustand Rußlands die Augen öffnen sollte, aber wegen der Dicke des Stares 54 nicht konnte, hat ihre völlige Richtigkeit. Unser Ministerium hätte von dem König von Preußen noch öfters zu unserm Nutzen können belehrt werden, wenn es seine Präsumtion 55 nicht ganz ungelehrig machte.


Die Emissärs, welche er zur Auskundschaftung der geheimen Kabinettsverhandlungen der europäischen Höfe gebraucht, erlauben sich freilich öfters Mittel und Wege, wobei die Ehrlichkeit zu kurz kommt. Als die Teilung von Polen projektiert war, wurden die Papiere eines Geheimschreibers eines gewissen Kabinetts auf eine Art kopiert, wobei die Freundschaft aufs äußerste geschändet und eine Dreistigkeit gebraucht worden, die fast allen Glauben übersteigt. Allein diese Spionenkünste erlauben sich alle europäischen Höfe; nur ist keiner so glücklich damit als der preußische, weil keiner überhaupt so getreu und fleißig bedient wird wie er. Die Geschäftigkeit, Treue und Verschwiegenheit, womit sie betrieben werden, sind die Ursachen, warum die preußischen Gesandten an allen Höfen so kurze Prozesse zu machen pflegen und gemeiniglich schon das Resultat hinwerfen, wenn andre erst zu räsonieren, zu kombinieren und sondieren anfangen. Das Kabinett, welches etwas von Wichtigkeit, wobei der König von Preußen nur einigermaßen interessiert ist, ohne Wissen desselben zu verhandeln glaubte, ist betrogen. Auch bei der jetzigen Unterhandlung der Höfe von Petersburg und Wien in betreff der Pforte 56 hat der König einige Federn springen lassen, welche ihm die Kabinette beider Mächte ziemlich weit öffneten. - Er sagte den Jesuiten zwei Jahre ihren Fall voraus, aber sie glaubten ihm nicht, weil sie sich für größere Propheten hielten.


Zuverlässig beruht Preußens Stärke zum Teil auf der deutlichen Kenntnis seiner eignen Kräfte und jener seiner Rivalen. Der Vorteil ist doppelt wichtig, da die Begriffe der letztern ebenso verworren und unvollständig als jene des Königs und seiner Minister deutlich und präzis sind. Verwirrung der Begriffe ist die Mutter des blendenden Stolzes, welcher uns zu dem größten politischen Fehler verführt und uns unsre Feinde, zu unserm großen Schaden, verachtend macht. Diese Blendung hat Österreich um Schlesien und Großbritannien um Amerika gebracht, wie der König von Preußen öfters selbst bemerkt hat. Er ist sicher, nie in diese Grube zu fallen, denn seine Eigenliebe blendet ihn nicht. In den preußischen und österreichischen Staatsschriften herrschte bisher ein merkwürdiger Kontrast. Diese suchen auf alle Art, und öfters auch offenbar gegen ihr eignes besseres Wissen, ihre Macht mit Posaunentönen zu vergrößern und den preußischen Staat zu verkleinern. Jene hingegen reden sogar im Krieg mit Hochachtung von Österreichs Macht, und bis jetzt hat man noch kein Beispiel, daß ein Preuße in einer öffentlichen Schrift sich Mühe gegeben hätte, die Stärke seines Vaterlandes zu vergrößern. Alles, was inländische Schriftsteller hierüber gesagt haben, beruht auf Rechnungen und Tatsachen, ohne Pauken und Trompeten. Ein stark unterscheidender Charakterzug beider Nationen. Während daß im Bayrischen Krieg vor einigen Jahren die österreichischen Staatsmänner behaupteten, der König von Preußen müsse notwendigerweise Krieg anfangen, um seine Soldaten, für die er weder Geld noch Brot mehr hätte, nicht Hungers sterben zu lassen, sagten die preußischen Minister in den öffentlichen Staatsschriften, es wäre unbegreiflich, wie sich ein so großes und mächtiges Haus als das österreichische bei seiner gewaltigen Überlegenheit über seine Nachbarn und seiner so hoch gepriesenen Großmut auf Kosten eines alten und ihm so wenig fürchterlichen deutschen Hauses zu vergrößern suchen könnte. - Mit einem Wort, der preußische Staat wird durch Überzeugung und der größte Teil der übrigen Welt durch Wahn regiert.






1langweilig, verdrießlich

2Generalsteuerpächter

3Herzog

4im Auskundschaften

5Einzelheit, Rechnungsposten

6Gicht

7Kuppler, Zuhälter

8verbietet privatwirtschaftliche Produktion oder Handel mit einer bestimmten Ware

9Savoyen - Landschaft in Frankreich

10auf Wechsel leihen

11König: Friedrich II., der Große, regierte von 1740 bis 1786

12leeres Geschwätz

13engl. Politiker, Historiker und Reiseschriftsteller

14mit den notwendigen Abänderungen

15Neuigkeiten

16hier: Richterstuhl

17geheimer Verhaftungsbefehl zu Gefängnis ohne Gerichtsurteil

18Steuer als zwanzigster Teil des Eigentums

19Geschenke der Geistlichkeit an den König

20verleumden

21arm an Neuigkeiten

22Der König hat in der Ausübung seines Regiments nur Gott und das Gesetz über sich stehen

23freie Bauern

24Pächter und Freisassen

25hier: Eigennutz

26durch logisches Schlußfolgern ableiten

27Graf von Hertzberg, seit 1763 Staatsminister, + 1795

28franz. Philosophen

29ital. Schriftsteller

30Militärschriftsteller

31Domherr in Breslau

32Gerichte

33stellte eine Lehre auf, daß der Charakter eines Menschen am Gesicht ablesbar sei

34franz. Schriftsteller

35Tedeum - christlicher Hymnus " Te deum laudamus ...", "Großer Gott, wir loben dich ...", wurde gern beim Verbrennen von Menschen gesungen

36niederl. -Pöbel, Gesindel

37siehe Psalm 38

38Schleichhandel

39frz. - Junggesellen

40frz. - Haushaltung

41frz. - die Gäste willkommen heißen (bei Empfängen)

42Gift

43Juvenal - römischer Dichter des 1. Jahrhunderts

44frz, - Unzucht

45was der Mangel angeraten hat, als ein allgemeines Übel

46der Tuilerienpark, Jardin des Tuileries

47Schauspielerinnen

48hier: ihn daran zu beteiligen

49volljährig

50frz. - Abenteurer, Glücksritter

51in Ungnade Gefallener

52Privatmann

53frz, - Vorrede

54Star - die Augenkrankheit (?)

55Vorurteil

56Türkei