Das Buch geht auf Vorlesungen zurück, die der Autor in den sechziger Jahren vor Hörern aller Fakultäten
in Tübingen gehalten hat.
Aber schon der Untertitel verweist auf eine gewaltige Einschränkung des im Titel Angekündigten: “Vorlesungen über das
Apostolische Glaubensbekenntnis”.
Es geht also nicht um das Christentum, wie es die Menschheit seit dem 4. Jahrhundert erlebt und erleidet, sondern vielmehr
um ein Theoriegebilde, das allen Dreck der Welt, alle Verbrechen der Catholica sorgfältig aussondert. Es wird sozusagen ein
theoretisches Christentum präsentiert. Folgerichtig wird der Leser solche (alphabetisch geordneten) Begriffe wie Ablaß,
Ausrottung der mittelamerikanischen Indianer im 16. Jahrhundert [der größte Genozid der Weltgeschichte!] mit nachfolgender
Initiierung der modernen Sklaverei, Beichte, christliche Sekten, Fegefeuer, Geburtenkontrolle, Hexenverbrennung,
Heiligenkult, Hölle als Schreckensort, Inquisition, [gerechter] Krieg, Kirchenstaat, Kreuzzüge, Marienverehrung,
Mönchswesen, Nepotismus, Opus Dei, Papsttum, Pazifismus, Teufelsaustreibung, Überbevölkerung, geschäftliche Verbindungen des
Vatikans zur Mafia, Wunder[aber]glaube – kurz: alles was die katholische Kirche zur größten Verbrecherorganisation der
Menschheitsgeschichte gemacht hat – vergeblich suchen. Aber – es gibt trotzdem genügend Berührungspunkte mit der
Wirklichkeit.
Auch eine zweite Einschränkung fällt beim Lesen auf: Es handelt sich nur um das von der katholischen Papstkirche gelehrte
Christentum. Also werden andere Kirchen wie die Lutherischen, die Albigenser, die Arianer, die Anglikanische Kirche, die
Altkatholische Kirche usw. nicht beachtet. So gesehen ist der Titel eine Anmaßung seines von der »Wahrheit« überzeugten
Autors.
Was der Leser nicht bemerken kann: die vielen Streichungen, die der Autor nach der 1.Auflage vorgenommen hat. Damals
bemängelte er noch Vieles in seiner Kirche, er legte die Pflichten des Papstes dar, betonte die bischöfliche, nicht die
päpstliche Struktur der Kirche und wandte sich gegen den kirchlichen Zentralismus. Aber wie es im Leben so ist – auf dem
Wege zum Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre (bis 1965 Heilige Inquisition genannt) und dem „Stuhl Petri“ 2005
(es gibt keinen Beleg dafür, daß Petrus jemals in Rom war und die Erklärung Pius XII., man habe sein Grab gefunden, war
eine Lüge), ließ er das alles in wahrhaft christlicher Demut wieder fallen. Nur wer sich ändert bleibt sich treu.
Da dieses Buch einen gewissen intelektuellen Anspruch an den Leser stellt, d.h. sich an bereits im Glauben gefestigte
Menschen wendet, kann sich der Autor als „moderner Theologe“ geben. So wird beispielsweise (s.u.) der dreistöckige Weltenbau
als veraltet zurückgewiesen, dito die Erde als Mittelpunkt der Welt. Auch die Trennung von Körper und Seele ist gemäß
neuester Erkenntnis unrichtig: „... ist die Idee der Anima separata (der 'losgetrennten Seele, von der die Schultheologie
spricht') im Letzten überholt. (S. 333) Wie selbstverständlich „liegt auch die Abstammungslehre hinter uns.“ (S. 59)
Solche und andere Interpretationen sind eben nicht für Hinz und Kunz gedacht, die (S. 113) als „weniger erleuchtete
Gläubige“ bezeichnet werden. Für sie gilt nach wie vor der katholische Weltkatechismus von 1992 (unter Leitung des Kardinals
Ratzinger erstellt!), in dem z. B. Adam und Eva als die ersten historischen Menschen bezeichnet werden, 150 Jahre nach
Darwin! Oder daß jeder, der im Zustand einer Todsünde oder auch nur der Erbsünde stirbt, alsbald in die Hölle hinabsteigt
und dort seine Strafe erhält (Weltkatechismus § 1035). Analog zur Zweiklassenkirche (Priester – Laien) wird hier also
eine Zweiklassentheologie (Schultheologie!) zelebriert. Das als Beispiel für die berühmte katholische
Doppelzüngigkeit.
Selbstredend belegt der Autor seine Überlegungen, wenn möglich, mit Bibelzitaten. Eine größere Wahrheit als Gottes Wort in
Schriftform ist ja schlecht denkbar. Es gilt aber dabei zu bedenken – die Bibel ist Menschenwerk, genauer: sie ist ein
Produkt der Kirche, genau zugeschnitten für ihre Zwecke. Die Zusätze, Weglassungen und Verfälschungen, die man im Laufe der
Jahrhunderte anbrachte, gehen in die Zehntausende. Und das Fälschen geht weiter: Lautet das Fünfte Gebot bei Luther, in
Übereinstimmung mit dem absoluten Pazifismus Jesus von Nazaret noch: „Du sollst nicht töten.“, so lautet die Stelle nun in
der Einheitsübersetzung: „Du sollst nicht morden.“ Ebenso hat der Kanon des NT selbst bis weit ins 4. Jahrhundert geschwankt.
Auch eine Bezugnahme auf den gefälschten Hebräerbrief (S. 268) ist nicht unter seiner Würde.
Wer nun dieses Buch erwirbt und nach Hause trägt, um sich belehren zu lassen, dem geht vielleicht währenddem Folgendes durch
den Kopf: Die Gelehrten sagen uns, daß der Jetztmensch, also der homo sapiens ein Alter von 120.000 Jahren hat. (Beiseite,
daß der frühe homo sapiens auf mindestens 400.000 Jahre bestimmt wird.) Wenn man sich nun einen Tisch von 120 cm Länge und
eine die Menschheit symbolisierende ihn überquerende Ameise darauf vorstellt, dann repräsentiert beim Marschieren jeder
Zentimeter 1.000 Jahre Menschheitsgeschichte. So könnte man nun bis zum Zentimeter 116/117 voranschreiten, ohne daß etwas
Göttliches geschieht. Dann aber offenbart sich Gott seinem auserwählten Volk und 2 cm vor Schluß, menschheitsgeschichtlich
sozusagen gestern, kommt der Erlöser Jesus Christus. Ja aber, ist Gott ein simultan spielender Schachspieler, der nur aller
4 Monate (1000 Jahre sind ja für IHN wie ein Tag) an unserem Schachbrett vorbeikommt und die andere Zeit in anderen Welten
verbringt? Wie werden denn nun die Millionen, die vor Jesus lebten, erlöst?
Um es vorwegzunehmen, diese Frage wird weder gestellt noch beantwortet. Man kann aber auch anders fragen: Wenn die
Menschheit 98% ihrer Existenz ohne die katholische Kirche ganz gut zurechtkam, könnte es auch weiterhin ohne sie gut gehen.
Denn, ist die Welt nach 2000 Jahren Christentum eine bessere geworden? Diese Frage muß sich jeder selbst beantworten. Auch
kann niemand sagen, wieviel Zeit dieser Kirche noch bleibt, ob es 500 oder gar 1000 Jahre sind.
Es fällt auch auf, wie einsilbig sich der Autor zum Thema „Dogma“ äußert. Dogmen sind nämlich niemals entstanden, sondern
sie sind schon immer da, sie werden nur von Zeit zu Zeit, entsprechend dem Fortschreiten der theologischen Wissenschaft
entdeckt und nun für alle Zeiten definiert. In der Kriminalistik nennt man diesen Vorgang Spurenverwischung. So ist das
Dogma von der leibhaftigen Himmelfahrt Marias (Fest 15. August) im Jahre 1950 nur verkündet worden, die Tatsache selbst
ist unbestreitbar.
Dem Buch ist ein im Jahre 2000 geschriebener Essay vorangestellt. Wenn der Leser darin nun folgendes liest:
“Aber eigentlich gezündet hat der Blitz [gemeint sind die Ereignisse des Jahres 1968] dieser neuen Umsetzung von Ideen in Praxis, dieser neuen Verschmelzung von christlichem Impuls und weltlich politischem Handeln in Lateinamerika. Die Theologie der Befreiung schien für mehr als ein Jahrzehnt die neue Richtung anzugeben, mit der der Glaube wieder weltgestaltend werden sollte, weil er sich mit den Erkenntnissen und Weisungen der Weltstunde neu verband. Dass es in Lateinamerika in erschreckendem Maß Unterdrückung, ungerechte Herrschaft, Konzentration von Besitz und Macht in wenigen Händen und Ausbeutung der Armen gab, war unbestritten und unbestritten damit, daß Handlungsbedarf bestand. Und da es sich um mehrheitlich katholische Länder handelte, konnte kein Zweifel sein, daß hier die Kirche Verantwortung trug und der Glaube sich als Kraft der Gerechtigkeit bewähren musste. Aber wie eigentlich? Da schien nun Marx der große Wegweiser zu sein. ... Denn diese 'Philosophie' ist wesentlich eine 'Praxis', die erst 'Wahrheit' schafft, nicht eine solche voraussetzt. Wer Marx zum Philosophen der Theologie macht, der übernimmt den Primat des Politischen und der Wirtschaft, die nun die eigentlichen Heilsmächte (und, wenn falsch angewendet, Unheilsmächte) sind: Die Erlösung des Menschen geschieht in solcher Sicht durch die Politik und die Wirtschaft, in der die Gestalt der Zukunft bestimmt wird. ... Das Neue an dem Ganzen war, daß das Programm der Weltveränderung, das bei Marx nicht nur atheistisch, sondern auch antireligiös gedacht ist, nun mit religiöser Leidenschaft gefüllt wurde, sich auf religiöse Grundlagen stützte: eine neu gelesene Bibel (besonders des Alten Testaments) und eine Liturgie, die als symbolischer Vorvollzug der Revolution und als Bereitung für sie gefeiert wurde. ... Das eigentliche und tiefste Problem der Befreiungstheologien sehe ich in dem faktischen Ausfalls des Gottesgedankens, der natürlich auch (wie angedeutet) die Gestalt Christi grundlegend verändert hat. Nicht als ob man Gott geleugnet hätte – beileibe nicht. Er wurde nur für die 'Realität', der man sich zuwenden musste, nicht gebraucht. Er war funktionslos. ...”so wird er sich doch fragen, warum einer der Fürsten Gottes auf Erden (inzwischen ist er zu seinem Stellvertreter avanciert) keine Antwort hat, wie dem 'unbestrittenen Handlungsbedarf' Genüge getan werden könnte, wie 'der Glaube als Kraft der Gerechtigkeit' tätig werden soll. Sind doch die Unterdrücker und die Unterdrückten beide Mitglieder seiner Kirche! Worte wie Rechtsstaatlichkeit, Steuergerechtigkeit, Sozialstaatlichkeit, Demokratie oder Korruption fallen ihm, ansonsten wortgewandt wie selten zu sehen, da nicht ein. Stattdessen diffamiert er den Marxismus, indem er ihn mit dem theologischen Begriff der 'Erlösung' in Verbindung bringt (auf einmal, drei Zeilen weiter ist nur noch von der 'Erlösung des Menschen' die Rede) und geht dann ganz schnell auf ein anderes Thema über. So sehen wir wieder einmal, und zwar aus erster Hand, wie die alleinseligmachende Formel über die Jahrtausende lautet: “Immer mit den Mächtigen, immer mit den Siegern.” Eugen Drewermann: „ ... dieses System besteht selber in nichts anderem als in der Heiligsprechung autoritärer Macht. ... Es ist selber nichts weiter als die religiöse Verfeierlichung von Menschenherrschaft im Namen Gottes.“ Die Kirche profitiert von der Unterdrückung und deshalb soll das auch so bleiben. Macht weiter so, dann kommt es wie in Mexiko, das im Zuge der Revolution 1917 den gesamten Besitz der Katholischen Kirche entschädigungslos enteignete.
“... Gott ist ganz konkret geworden in Christus, aber so ist auch sein Geheimnis noch größer geworden. Gott ist immer unendlich größer als all unsere Begriffe und all unsere Bilder und Namen. Dass wir ihn nun als dreieinig bekennen, bedeutet nicht, daß wir jetzt eigentlich alles über ihn wissen, sondern ganz im Gegenteil: Es zeigt uns erst, wie wenig wir von ihm wissen und wie wenig wir ihn begreifen oder umgreifen können. Wenn heute nach den Schrecknissen der totalitären Regime (ich erinnere an das Mahnmal Auschwitz) die Theodizeefrage mit brennender Gewalt sich auf uns legt, dann wird nur noch einmal sichtbar, wie wenig wir Gott definieren, gar durchschauen können. Die Antwort Gottes am Ijob [gemeint ist die Erscheinung Gottes im brennenden Dornbusch vor Moses auf dem Sinai] erklärt ja nichts, sondern weist nur unseren Wahn, über alles urteilen und abschließend sprechen zu können, in die Schranken und erinnert uns an unsere Grenzen. Dem Geheimnis Gottes in seiner Unbegreiflichkeit zu trauen, ermahnt sie uns. ...”Da forschen also seit 2000 Jahren die besten Köpfe nach Gott und heute wissen sie, daß sie nichts wissen. Wer nun aber seinen Verstand noch nicht in der bischöflichen Garderobe abgegeben hat, wird denken, daß sie wohl etwas suchen, was es nicht gibt. Wohlgemerkt, es geht hier ausschließlich um den Schöpfergott, den Demiurgen. Und bei dieser Gelegenheit wieder ein Beispiel katholischer Doppelzüngigkeit: Auschwitz. Berichte über diesen Ort des Schreckens und Verurteilungen der Täter gibt es zuhauf. Aber wer hat heute den Mut, nach den Ursachen der jahrtausendealten Judenfeindlichkeit zu fragen? So würde sich nämlich schnell zeigen, daß der Haß auf das Judentum seit den frühesten Tagen, mit Paulus beginnend, untrennbar mit dem Christentum verbunden ist. Auschwitz ist keine Singularität, sondern nur der Endpunkt dieser Entwicklung.
Damit zeigt sich aber nun ein erster Umriss der Haltung, die das Wörtchen »Credo« meint. Es bedeutet, dass der Mensch Sehen, Hören und Greifen nicht als die Totalität des ihn Angehenden betrachtet, dass er den Raum seiner Welt nicht mit dem, was er sehen und greifen kann, abgesteckt ansieht, sondern eine zweite Form von Zugang zum Wirklichen sucht, die er eben Glauben nennt, und zwar so, dass er darin sogar die entscheidende Eröffnung seiner Weltsicht überhaupt findet. Wenn es aber so ist, dann schließt das Wörtchen Credo eine grundlegende Option gegenüber der Wirklichkeit als solcher ein; es meint nicht ein Feststellen von dem und jenem, sondern eine Grundform, sich zum Sein, zur Existenz, zum Eigenen und zum Ganzen des Wirklichen zu Verhalten. Es bedeutet die Option, dass das nicht zu Sehende, das auf keine Weise ins Blickfeld rücken kann, nicht das Unwirkliche ist, sondern dass im Gegenteil das nicht zu Sehende, sogar das eigentlich Wirkliche, das alle übrige Wirklichkeit Tragende und ErmögIichende darstellt. Und es bedeutet die Option, dass dieses die Wirklichkeit insgesamt Ermöglichende auch das ist, was dem Menschen wahrhaft menschliche Existenz gewährt, was ihn als Menschen und als menschlich Seienden möglich macht. Nochmal anders gesagt: Glauben bedeutet die Entscheidung dafür, dass im Innersten der menschlichen Existenz ein Punkt ist, der nicht aus dem Sichtbaren und Greifbaren gespeist und getragen werden kann, sondern an das nicht zu Sehende stößt, sodass es ihm berührbar wird und sich als eine Notwendigkeit für seine Existenz erweist. (S. 44)„Wenn es aber so ist“ - das ist seine Lieblingsredewendung, sie kommt insgesamt 12mal vor – wenn es aber so ist, dann ist Glaube nicht beweisbar, aber es gilt auch das Gegenteil: Glaube ist mit Logik nicht widerlegbar. Etwas, was sich derart dem Denken entzieht, muß man als ein Phantom bezeichnen und wir geben einem Philosophen unserer Zeit recht, der sagt: „Einem Phantom kann auch der verwegenste Kriegsmann nichts anhaben.“ Und nun folgt Schritt für Schritt die Konstruktion des Lehrgebildes. Am Ende ist das Gebäude wasserdicht in jeder Hinsicht.
Ohne diese Wende der Existenz, ohne die Durchkreuzung des natürlichen Schwergewichts gibt es keinen Glauben. (S. 45)Ach, wenn es doch nur die Kostümierung wäre, aber es geht doch um die hinterförzige Lebenshaltung. Der kann man das Attribut „vorgestern“ nicht ankleben, weil auch vorgestern in der gesitteten Menschheit niemand in solchen Kategorien dachte. Vier Beispiele dazu, wie der Glaube im Leben auftritt:
„Vor allem weiß es [das Christentum], dass es an sich ganz gleichgültig ist, ob etwas wahr ist, aber von höchster Wichtigkeit, sofern es als wahr geglaubt wird. Die Wahrheit und der Glaube, dass Etwas wahr sei: zwei ganz auseinanderliegende Interessen-Welten, fast Gegensatz-Welten – man kommt zum Einen und zum Andren auf grundverschiedenen Wegen“ (Friedrich Nietzsche).
Zur Kluft von »Sichtbar« und »Unsichtbar« kommt für uns erschwerend diejenige von »Damals« und »Heute« dazu. Die Grundparadoxie, die im Glauben an sich schon liegt, ist noch dadurch vertieft, dass Glaube im Gewand des Damaligen auftritt, ja, geradezu das Damalige, die Lebens- und Existenzform von damals, zu sein scheint. (S. 46)
Wir haben uns auf unsere Perspektive eingestellt, auf das Sehbare im weitesten Sinn, auf das, was unserem messenden Zugriff fassbar ist. Die Methodik der Naturwissenschaft beruht auf dieser Beschränkung auf das Erscheinende. Es genügt uns. Mit ihm können wir hantieren und so uns selbst jene Welt erschaffen, in der wir als Menschen zu leben vermögen. Damit hat sich im neuzeitlichen Denken und Existieren allmählich ein neuer Begriff von Wahrheit und Wirklichkeit herausgebildet, der meistens unbewusst als die Voraussetzung unseres Denkens und Redens waltet, der aber nur bewältigt werden kann, wenn er auch seinerseits der Prüfung des Bewusstseins ausgesetzt wird. An dieser Stelle wird die Funktion des nicht-naturwissenschaftlichen Denkens sichtbar, das Unbedachte zu bedenken und die menschliche Problematik solcher Orientierung dem Bewusstsein vor den Blick zu bringen. (S. 52)Und mit sanfter Stimme, ganz in väterlicher Art, wird dasselbe nun nochmal und nochmal wiederholt, damit es ja jeder begreift. „Der Glaube kommt vom Hören“, das wußte schon Paulus (Röm 10.17) und ein Schelm ist, wer jetzt an Adolf Hitler denkt.
Christlicher Glaube hat wirklich mit dem »Faktum« zu tun, er wohnt in einer spezifischen Weise auf der Ebene der Geschichte, und es ist kein Zufall, dass gerade im Raum christlichen Glaubens Historismus und Historie überhaupt gewachsen sind. Und zweifellos hat Glaube auch etwas mit Weltveränderung, mit Weltgestaltung, mit dem Einspruch gegen die Trägheit der menschlichen Institutionen und derer, die daraus ihren Nutzen ziehen, zu tun. Wiederum ist es schwerlich ein Zufall, dass das Verständnis der Welt als Machbarkeit im Raum der christlich-jüdischen Überlieferung gewachsen und gerade bei Marx aus ihren Inspirationen heraus, wenn auch in Antithese dazu, gedacht und formuliert worden ist. Insofern ist nicht zu bestreiten, dass beide Male etwas von der wirklichen Meinung des christlichen Glaubens zum Vorschein kommt, das früher allzusehr verdeckt geblieben war. Christlicher Glaube hat auf entscheidende Weise mit den wesentlichen Antriebskräften der Neuzeit zu tun. Es ist in der Tat die Chance unserer geschichtlichen Stunde, dass wir von ihr her die Struktur des Glaubens zwischen Faktum und Faciendum ganz neu begreifen können; es ist die Aufgabe der Theologie, diesen Anruf und diese Möglichkeit wahrzunehmen und die blinden Stellen vergangener Perioden zu finden und zu füllen. (S. 60)Wenn man nur wüßte, wen er da meint mit der Trägheit der menschlichen Institutionen und denen, die daraus ihren Nutzen ziehen. Sollte die Catholica selbst gemeint sein? Immerhin ist es gerade 10 Jahre her, daß die Erde sich nun um die Sonne dreht, daß Galiliei rehabilitiert wurde. Und im katholischen Afrika liegt so vieles im Argen, wo Weltveränderung und Weltgestaltung vonnöten wäre. Aber was ist denn nun die wirkliche Meinung des christlichen Glaubens, inwiefern war sie früher verdeckt? Wenigstens lernt man hier, daß Marxismus etwas ganz Schlimmes sein muß, ich vermute, weil Marxisten keine Kirchensteuern bezahlen.
Einstweilen können wir einfach den Faden des vorhin Bedachten wieder aufgreifen und sagen, dass Glaube eine völlig andere Ebene meint als jene des Machens und der Machbarkeit. Er ist wesentlich das Sichanvertrauen an das Nicht-Selbstgemachte und niemals Machbare, das gerade so all unser Machen trägt und ermöglicht. Das heißt aber dann weiterhin, dass er auf der Ebene des Machbarkeitswissens, auf der Ebene des »verum quia factum seu faciendum« weder vorkommt noch überhaupt vorkommen und darin gefunden werden kann und dass jeder Versuch, ihn dort »auf den Tisch zu legen«, ihn im Sinn des Machbarkeitswissens beweisen zu wollen, notwendig scheitern muss. Er ist im Gefüge dieser Art von Wissen nicht anzutreffen, und wer ihn dennoch dort auf den Tisch legt, der hat etwas Falsches auf den Tisch gelegt. Das bohrende Vielleicht, mit dem der Glaube den Menschen allerorten und jederzeit in Frage stellt, verweist nicht auf eine Unsicherheit innerhalb des Machbarkeitswissens, sondern es ist die Infragestellung der Absolutheit dieses Bereichs,seine Relativierung als eine Ebene des menschlichen Seins und des Seins überhaupt, die nur den Charakter von etwas Vorletztem haben kann. Anders ausgedrückt: Wir sind mit unseren Überlegungen nun an einer Stelle angelangt, an der sichtbar wird, dass es zwei Grundformen menschlichen Verhaltens zur Wirklichkeit gibt, von denen die eine nicht auf die andere zurückgeführt werden kann, weil sich beide je auf einer gänzlich anderen Ebene abspielen. (S. 63)Da möchte man doch nun aber wissen, von wem empfangen. Er spricht es hier noch nicht aus, aber später lernen wir: Nur die katholische Kirche, die allein im Besitz der vollen göttlichen Wahrheit ist, kann den richtigen Glauben ausspenden.
Nicht ein Glauben, sondern ein Tun, ein Vieles-nicht-tun vor allem, ein anderes Sein ... Das Christ-sein, die Christlichkeit auf ein Für-wahr-halten, auf eine bloße Bewußtseins-Phänomentalität reduzieren, heißt die Christlichkeit negieren.“ (Friedrich Nietzsche)
Glauben in dem Sinn, wie ihn das Credo will, ist nicht eine unfertige Form des Wissens, ein Meinen, das man dann in Machbarkeitswissen umsetzen könnte oder sollte. Er ist vielmehr eine von Wesen andere Form geistigen Verhaltens, die als etwas Selbständiges und Eigenes neben diesem steht, nicht rückführbar darauf und unableitbar davon. Denn der Glaube ist nicht dem Bereich der Machbarkeit und des Gemachten zugeordnet, obwohl er mit beiden zu tun hat, sondern dem Bereich der Grundentscheidungen, deren Beantwortung dem Menschen unausweichlich ist und die von Wesen her nur in einer Form geschehen kann. Diese Form aber nennen wir Glaube. Es scheint mir unerlässlich, dies in voller Deutlichkeit zu sehen. (S. 64)
Aus dem Sumpf der Ungewissheit, des Nicht-leben-Könnens zieht sich niemand selbst empor, ziehen wir uns auch nicht, wie Descartes noch meinen konnte, durch ein »Cogito ergo sum«, durch eine Kette von Vernunftschlüssen, heraus. Sinn, der selbst gemacht ist, ist im Letzten kein Sinn. Sinn, das heißt der Boden, worauf unsere Existenz als ganze stehen und leben kann, kann nicht gemacht, sondern nur empfangen werden. (S. 66)
Allerdings ist es dem Verstehen eigen, dass es unser Begreifen immer wieder überschreitet zu der Erkenntnis unseres Umgriffenseins. Wenn aber Verstehen Begreifen unseres Umgriffenseins ist, dann heißt dies, dass wir es nicht noch einmal umgreifen können; es gewährt uns Sinn eben dadurch, dass es uns umgreift. In diesem Sinn sprechen wir mit Recht vom Geheimnis als dem uns vorausgehenden und uns immerfort überschreitenden, von uns nie einzuholenden oder zu überholenden Grund. Aber gerade im Umgriffensein von dem nicht noch einmal Begriffenen vollzieht sich die Verantwortung des Verstehens, ohne die der Glaube würdelos würde und sich selbst zerstören müsste. (S. 71)Glaube allein genügt noch nicht, seine volle Würde entsteht im verantwortlichen Verstehen. Ich muß also so tun, als ob ich das Nichtverstehbare verstehe. Katholische Heuchelei.
Und endlich drückt dieser Text in seiner heutigen Gestalt auch die vom Politischen ausgehende Uniformierung der Kirche im Westen und so das Schicksal der politischen Verfremdung des Glaubens, seine Benutzung als Mittel der Reichseinheit aus. Indem wir diesen Text verwenden, der als das »Römische« durchgesetzt und dabei in dieser Gestalt Rom von außen aufgedrängt worden ist, finden wir in ihm anwesend die Not des Glaubens, sich durch das Gitter der politischen Zwecke hindurch in seiner Selbstheit behaupten zu müssen. So wird im Spiegel der Schicksale dieses Textes sichtbar, wie die Antwort auf den Ruf aus Galiläa in dem Augenblick, in dem sie in die Geschichte eintritt, sich mit allen Menschlichkeiten des Menschen vermengt: mit den Sonderinteressen einer Region, mit der Entfremdung der zur Einheit untereinander Berufenen, mit den Schlichen der Mächte dieser Welt. Ich denke, es sei wichtig, dies zu sehen, denn auch dies gehört zur Wirklichkeit des Glaubens in der Welt, dass der kühne Sprung aufs Unendliche zu, den er bedeutet, nur in den Verkleinerungen des Menschlichen stattfindet; dass auch hier, wo der Mensch gleichsam sein Größtes, den Sprung über seinen Schatten hinweg auf den ihn tragenden Sinn, wagt, sein Tun nicht reine, adlige Größe ist, sondern ihn als das zwiespältige Wesen spiegelt,das in seiner Größe erbärmlich und in seiner Erbärmlichkeit doch immer noch groß ist. Dabei wird etwas sehr Zentrales sichtbar, dies nämlich, dass Glaube mit Vergebung zu tun hat,zu tun haben muss; dass er den Menschen darauf hinorientieren will, zu erkennen, dass er das Wesen ist, das nur im Empfangen und im Weitertragen von Vergebung sich selbst finden kann, das der Vergebung selbst noch in seinem Besten und Reinsten bedarf. (S. 77)Hier muß man aber etwas genauer hinschauen. Konstantin der Große war es, der auf der Suche nach einer reichseinheitlichen Kirche bzw. Kult das Christentum präferierte. Die Vision an der malvischen Brücke („Unter diesem Zeichen wirst du siegen.“) ist eine der vielen Lügen des Christentums. Von einem Mißbrauch kann keine Rede sein. Mit fliegenden Fahnen ging der Klerus zum Kaiser über. Teilhabe an der Macht, gesellschaftliches Ansehen und persönlicher Wohlstand standen auf einmal höher als die Ideale des frühen Christentums. War die Kirche bis dahin streng pazifistisch, durfte kein Christ Soldat werden, so wurden nun die Soldatenmärtyrer flugs aus dem Kalender geworfen. Bereits die Synode von Arelate 314 beschloß die Exkommunikation desertierender Christen. Es entstand die Kirche des Feldpfaffentums, die noch 1945 die für Japan bestimmten Atombomben segnete. Diese Entwicklung vom Toleranzedikt 311 des Galerius über die Privilegierung der Bischöfe durch Konstantin bis zur Anerkennung als Staatsreligion 380 durch Theodosius ist ein atemberaubender Vorgang, der mit der Floskel „politische Verfremdung“ nur sehr unzureichend beschrieben ist.
Wir hatten vorhin gesehen, dass das Credo im Rahmen des Taufgeschehens als die dreimalige Antwort auf die dreimalige Frage »Glaubst du an Gott - an Christus - an den Heiligen Geist« gesprochen wird. Fügen wir nun hinzu, dass es dabei das positive Gegenüber zu der dreifachen Absage darstellt, die vorausgeht: »Ich sage ab dem Teufel, seinem Dienst und seinen Werken«. Das bedeutet: Der Glaube hat seinen Sitz im Akt der Bekehrung, der Wende des Seins, das sich von der Anbetung des Sichtbaren und Machbaren herumwendet zum Vertrauen auf den Unsichtbaren. Das Wort »Ich glaube« könnte man hier förmlich übersetzen mit »Ich übergebe mich an ..., ich sage zu«. Glaube ist gerade im Sinn des Glaubensbekenntnisses und von seinem Ursprung her nicht eine Rezitation von Lehren, nicht ein Annehmen von Theorien über Dinge, über die man an sich nichts weiß und dafür um so lauter etwas behauptet, er bedeutet eine Bewegung der ganzen menschlichen Existenz, in der Sprache Heideggers könnte man sagen, er bedeute eine »Kehre« des ganzen Menschen, die das Dasein fortan ständig strukturiert. In dem Vorgang der dreifachen Absage und der dreifachen Zusage, Verbunden mit dem dreimaligen Todessymbol des Ertrinkens und der dreimaligen Symbolisierung des Auferstehens zu neuem Leben, wird Glaube sinnfällig verdeutlicht als das, was er ist: Bekehrung, Kehre der Existenz, Wende des Seins. (S. 79)Das Credo in seiner heutigen Gestalt – er erwähnt, daß es sich bis zum 4. Jahrhundert in seiner heutigen Gestalt als fortlaufender Text aus dem Frage-und Antwortspiel der Erwachsenentaufe des frühen Christentums entwickelt hat. Wie alle 7 Sakramente (Taufe, Firmung, Ehe, Priesterweihe, Buße, Eucharistie und Krankensalbung), die angeblich von Jesus eingesetzt wurden, geht auch die Taufe nicht auf ihn zurück. Jesus hat niemals getauft, wie Joh 4.2 berichtet, der Taufbefehl des Matthäusevangeliums (Mt 28.19) ist eine Fälschung. Wie alles im Christentum ist auch die Taufe nichts anderes als eine genaue Kopie der heidnischen Taufe. Interessant aber ist der Übergang von der Erwachsenentaufe zur Kindertaufe. Sie setzte sich wahrscheinlich seit dem 6. Jahrhundert durch, offensichtlich aus dem klerikalen Bedürfnis, die Kirche als Staats- und Massenkirche zu erhalten. Jedenfalls ist sie im NT nicht belegt. Auf solche Nebensächlichkeiten wie die, daß ungetaufte Kinder nicht ins Himmelreich kommen können, geht der Autor, um nicht den Faden für das Große und Ganze zu verlieren, erwartungsgemäß nicht ein.
Anders gesagt: Es gibt im Glauben einen Vorrang des Wortes vor dem Gedanken, der ihn strukturell von der Bauart der Philosophie abhebt. In der Philosophie geht der Gedanke dem Wort voraus, ist sie doch Produkt des Nachdenkens, das man dann in Worte zu bringen versucht, die indes immer sekundär bleiben gegenüber dem Gedanken und daher grundsätzlich immer ersetzbar durch andere Wörter sind. Glaube tritt hingegen von außen an den Menschen heran, und eben dies ist ihm wesentlich, dass er von außen zukommt. Er ist - sagen wir das noch einmal – nicht das selbst Erdachte, sondern das mir Gesagte, das mich als das nicht Ausgedachte und nicht Ausdenkbare trifft, ruft, in Verpflichtung nimmt. (S. 83)Also nicht nachdenken und dann sprechen, sondern zuerst sprechen und am besten das Nachdenken ganz unterlassen.
Ich bin nicht durch private Wahrheitssuche zum Glauben gekommen, sondern durch ein Empfangen, das mir gleichsam schon zuvorgekommen war. (S. 83)Somit besteht der Vorgang des Glaubens im Nachdenken und Nachbeten über die vorgegebenen Worte. So lernt man am besten die wichtigsten Passagen auswendig und hat dann den Kopf zum Denken an anderes frei. Die zunehmende Gleichgültigkeit der Gläubigen zu ihrem Glauben hat hier ihren Grund. Die 100.000 Kirchenaustritte des Jahres 2004 sprechen dieselbe Sprache. Es gibt eine Glaubensdefinition der katholischen Kirche, die in diesem Buch seltsamerweise nicht erwähnt wird: Glaube ist „ein Akt des Verstandes ... befohlen vom Willen.“
Weil es so steht, weil der Glaube das nicht von mir Erdachte, sondern das von außen auf mich Zutretende ist, darum ist sein Wort mir nicht beliebig verfügbar und austauschbar, sondern mir immer vorgeordnet, meinem Denken allzeit voraus. Die Positivität dessen, was auf mich zukommt, nicht von mir stammt und mir erschließt, was ich mir selbst nicht geben kann, kennzeichnet die Gestalt des Glaubensvorganges. Deshalb gibt es hier einen Vorrang des vorgegebenen Wortes vor dem Gedanken, sodass nicht der Gedanke sich seine Wörter schafft, sondern das gegebene Wort dem verstehenden Denken den Weg weist. (S. 84)
Hier fühlt man sich zu dem Einwand gedrängt: Müsste es denn nicht so sein, dass jeder Mensch unmittelbaren Zutritt zu Gott hat, wenn »Religion« eine Wirklichkeit sein soll, die jeden angeht, und wenn jeder von Gott gleichermaßen beansprucht ist? Müsste es dann nicht volle »Chancengleichheit« geben und jedem gleiche Gewissheit offenstehen? Von unserem Ansatz her wird vielleicht doch sichtbar, wieso diese Frage ins Leere zielt: Der Dialog Gottes mit den Menschen spielt sich nur durch den Dialog der Menschen miteinander ab. Die Unterschiedlichkeit der religiösen Begabungen, die die Menschen in »Propheten« und in Hörende teilt, zwingt sie ins Zueinander und ins Füreinander hinein. Das Programm des frühen Augustin »Gott und die Seele - nichts sonst« ist unrealisierbar, es ist auch unchristlich. Religion gibt es letztlich nicht im Alleingang des Mystikers, sondern nur in der Gemeinsamkeit von Verkündigen und Hören. Gespräch des Menschen mit Gott und Gespräch der Menschen miteinander fordern und bedingen sich gegenseitig. Ja, vielleicht ist das Geheimnis Gott von Anbeginn die zwingendste und die nie zum fertigen Resultat zu führende Herausforderung der Menschen zum Dia-log, der, wie versperrt und verstört er auch sein mag, den »Logos«, das eigentliche Wort, durchtönen lässt, von dem alle Wörter kommen und das auszusagen alle Wörter in einem immerwährenden Anlauf versuchen. (S. 86)Da sei Gott davor, das würde ja die Priester überflüssig machen, was würde dann aus uns? Wir unterscheiden doch nicht ohne Grund die Priester vom Pöbelhaufen der Laien, da sieht doch jeder, wie die Frage ins Leere zielt! (In der Kommunistenzeit sagte man „Die Frage ist verkehrt gestellt, sie muß lauten ...“) Nun ist aber diese Erkenntnis Martin Luthers, daß der Mensch den Priester als Vermittler nicht braucht und Gott selbst ansprechen kann, schon in der sog. Mystik vorgedacht worden, z. B. von Meister Ekkart um 1300. „Gott muß schlechthin ich werden und ich schlechthin Gott .“ Sowas läßt sich sich die Beamtenkirche natürlich nicht bieten. Und warum schreibt dann Karl Rahner, einer der bedeutendsten katholischen Theologen unserer Zeit (+ 1984): „Der Glaubende von morgen wird ein Mystiker sein.“? An dieser Stelle muß auch noch auf die fehlende Trennung, ja die bewußte Verwischung des Unterschiedes in seinen Darlegungen, z. B. im folgenden Absatz, zwischen Religion und Kirche hingewiesen werden. Religion ist so alt wie die Menschheit selbst und kann nur zusammen mit ihr untergehen. Kirche ist ein hierarchisches Gebilde behördlich verwalteten Wahrheitsbesitzes. Gleichsetzen von Religion und Kirche ist einer der vielen Tricks des Klerus, es ist unkorrekt und unredlich. „Religiöser Glaube, gleich welcher Konfession, ist eine Funktion von Mystik“ (Eugen Drewermann).
Aus dem Gesagten folgt ein Weiteres: Es bedeutet, dass jeder Mensch den Glauben nur als »Symbolon«, als unvollkommenes und gebrochenes Stück, in Händen hat, das seine Einheit und Ganzheit nur finden kann im Zusammenlegen mit den andern: Nur im »symballein«, im Ineinanderfallen mit ihnen, kann sich auch das »symballein«, das Ineinanderfallen mit Gott, ereignen. Glaube verlangt Einheit, ruft nach dem Mitglaubenden - er ist von Wesen auf Kirche bezogen. Kirche ist nicht eine sekundäre Organisierung von Ideen, die ihnen ganz ungemäß und daher bestenfalls ein notwendiges Übel wäre; sie gehört in einen Glauben notwendig hinein, dessen Sinn das Ineinander gemeinsamen Bekennens und Anbetens ist. (S.89)Wer bis jetzt das alles geschluckt hat, schluckt nun auch noch dies: ohne die Kirche geht es nicht. Diese angebliche Befehl Jesu zur Kirchengründung (Mt. 16.18) kommt in den drei anderen Evangelien nicht vor, er ist eine klerikale Fälschung. Wer wie er fest an das unmittelbar bevorstehende Weltende glaubt, gründet keine Kirche. Wer sagt „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“, denkt nicht an eine hierarchische Beamtenschaft des göttlichen Wahrheitsbegriffes.
So gehört zum Glauben wesentlich das Bekennen, das Wort und die Einheit, die es wirkt; es gehört zu ihm das Eintreten in den Gottesdienst der Gemeinde und so letztlich jenes Mitsein, das wir Kirche nennen. Christlicher Glaube ist nicht Idee, sondern Leben, ist nicht für sich seiender Geist, sondern Inkarnation, Geist im Leib der Geschichte und ihres Wir. Er ist nicht Mystik der Selbstidentifikation des Geistes mit Gott, sondern Gehorsam und Dienst: Selbstüberschreitung, Befreiung des Selbst gerade durch die Indienstnahme durch das von mir nicht Gemachte und nicht Erdachte; Freiwerden durch Indienstnahme für das Ganze.(S.90)Anders ausgedrückt: Totale Unterwerfung unter die wahrheitsgarantierende Priesterschaft und Einordnung in die Schafherde der Gläubigen. Mäh.
Die Einheit, Endgültigkeit und Unteilbarkeit der Liebe zwischen Mann und Frau ist letztlich nur im Glauben an die Einheit und Unteilbarkeit der Liebe Gottes zu verwirklichen und zu verstehen. Wir begreifen heute immer mehr, wie wenig sie eine rein philosophisch abzuleitende, in sich stehende Aussage ist; wie sehr sie mit dem Zusammenhang des Glaubens an den einen Gott steht und fällt. Und wir begreifen immer mehr, wie sehr die scheinbare Befreiung der Liebe in die Be-liebigkeit des Triebs hinein die Auslieferung des Menschen an die verselbständigten Mächte von Sexus und Eros ist, deren erbarmungsloser Sklaverei er verfällt, wo er sich freizumachen wähnt. Wo er sich Gott entzieht, greifen die Götter nach ihm, und seine Befreiung geschieht nicht anders, als indem er sich befreien lässt und aufhört, sich auf sich selber stellen zu wollen. (S. 104)Halten wir doch einfach fest: Daß Menschen Freude an der Sexualität haben ist ein Göttergeschenk und ein Trick der Evolution, um die Vermehrungsrate hoch zu halten. Man vergleiche den stumpfsinnigen Ablauf der Kopulation bei den Tieren. Die Primaten nehmen hier eine Übergangsstellung ein. Aber aus der Neidsicht der kirchlichen zölibateren Beamtenschar darf es kein Privatleben geben, alles muß dem Priester offenbar sein. Die Missionare fordern sogar, den Geschlechtsakt in nur einer festgelegten Körperhaltung (sog. Missionarsstellung) zu vollziehen. Deshalb ist die Liebe streng geregelt: Nur zwischen katholisch Verheirateten und nur zum Zweck der Nachwuchszeugung ist sie erlaubt. „Fruchtbarkeit“ wird als das Ziel der Ehe bezeichnet. Der Weltkatechismus von 1992 stellt in § 2353 dazu fest: “Unzucht ist die fleischliche Vereinigung außerhalb der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau in Freiheit. Sie ist in schwerer Weise gegen die Würde der Personen und gegen die menschliche Sexualität gerichtet, die natürlicherweise ebenso auf die Heirat wie auf die Erzeugung und Aufzucht von Kindern ausgerichtet ist. Zudem ist sie ein schwerer Skandal, da es sich um eine Verderbnis derJugend handelt.“
Im Gefolge dieser ganzen Geschichte hat die frühe Christenheit ihre Auswahl und ihre Reinigung entschlossen und kühn vollzogen, indem sie sich für den Gott der Philosophen, gegen die Götter der Religionen entschied. Wenn die Frage aufstand, welchem Gott der christliche Gott entspreche, dem Zeus vielleicht oder dem Hermes oder dem Dionysos oder sonst einem, so lautete die Antwort: Keinem von allen. Keinem von den Göttern, zu denen ihr betet, sondern einzig und allein dem, zu dem ihr nicht betet, jenem Höchsten, von dem eure Philosophen reden. Die frühe Kirche hat den ganzen Kosmos der antiken Religionen entschlossen beiseite geschoben, ihn insgesamt als Trugwerk und Blenderei betrachtet und ihren Glauben damit ausgelegt, dass sie sagte: Nichts von alledem verehren und meinen wir, wenn wir Gott sagen, sondern allein das Sein selbst, das, was die Philosophen als den Grund alles Seins, als den Gott über allen Mächten herausgestellt haben - nur das ist unser Gott. (S. 127)Man verachtet zwar den heidnischen Götterhimmel, der durch einen, wenn auch dreigestaltigen Gott ersetzt wird, dazu gibt es noch einen umfangreichen hierarchisch gegliederten Hofstaat aus Engeln. Aber was ist mit den Tausenden von Seligen und Heiligen? Wenn ich meinen Autoschlüssel verliere, wende ich mich erst mal vertrauensvoll an den Hl. Antonius von Padua und wenn die große Zehe ziept, was man bekanntlich Gicht nennt, dann ist mein Ansprechpartner der Hl. Quirinus von Siscia. Jedes Land, jede Stadt, jede Berufsgruppe hat ihren Schutzheiligen, sogar die amerikanischen Bomberpiloten! Ob nun die Ammen (St. Mamertus) oder die Zwangsarbeiter (St. Cyriakus) – für jeden Beruf gibt es einen Patron, den man anrufen kann. Die Theologen denken natürlich auch an sich und haben gleich 8 Heilige, darunter den Hl. Hieronymus. Und was für Gestalten tummeln sich dort? Die jüngste Bereicherung des christlichen Götterhimmels ist der Giftgaskaiser Karl I. von Österreich, der es ebenso wie der „Friedenspapst“ Benedikt XV. nicht schaffte, den 1. Weltkrieg zu beenden. Und die Seligsprechung des Hitlerpapstes Pius XII. läuft auf Hochtouren. Es liegt in der Dynamik dieser Vorgänge, daß eines Tages auch Adolf Hitler heiliggesprochen wird. Den Anfang hat man ja schon 1945 gemacht, als man ihn nicht exkommunizierte.
Die philosophische Aufklärung und ihre »physische« Betrachtung des Seins hat den mythischen Schein immer mehr verdrängt, freilich ohne die religiöse Form der Verehrung der Götter zu beseitigen. Die antike Religion ist denn auch an der Kluft zwischen Gott des Glaubens und Gott der Philosophen, an der totalen Diastase zwischen Vernunft und Frömmigkeit zerbrochen. Dass es nicht gelungen ist, beides in eins zu bringen, sondern dass in zunehmendem Maße Vernunft und Frömmigkeit auseinander getreten sind, Gott des Glaubens und Gott der Philosophen sich trennten, das bedeutete den inneren Zusammenbruch der antiken Religion. Die christliche hätte kein anderes Schicksal zu erwarten, wenn sie sich auf eine gleichartige Abschneidung von der Vernunft und auf einen entsprechenden Rückzug ins rein Religiöse einließe, wie ihn Schleiermacher gepredigt hat und wie er in gewissem Sinn paradoxerweise auch bei Schleiermachers großem Kritiker und Gegenspieler Karl Barth vorliegt. (S. 128)Man beachte die fast selbstverständliche Benutzung des Wortes 'Vernunft' in diesem Zusammenhang, ungeachtet dessen, daß es doch etwas gibt, „welches höher ist als alle Vernunft.“
Die ursprünglich christliche Option ist demgegenüber eine durchaus andere. Der christliche Glaube hat - wir sahen es - gegen die Götter der Religionen für den Gott der Philosophen, das heißt gegen den Mythos der Gewohnheit allein für die Wahrheit des Seins selbst optiert. Von diesem Vorgang her rührte der Vorwurf gegen die frühe Kirche, dass ihre Anhänger Atheisten seien. Er ergab sich daraus, dass in der Tat die frühe Kirche die ganze Welt der antiken religio ablehnte; dass sie nichts davon als annehmbar erklärte, sondern dies Ganze als leere Gewohnheit die gegen die Wahrheit steht, beiseite schob.Mit dem schönen Wort 'Wahrheit', das hier dreimal vorkommt, hat es auch so seine Bewandtnis. Das Streben nach der Wahrheit Gottes wird gern als Rechtfertigung für die heiligen Verbrechen benutzt. Aber wie fühlt man sich im profanen Leben der Wahrheit verpflichtet? Nur dann, wenn sie einen materiellen Vorteil davon haben. Paulus hat die Generallizenz zur Lüge erteilt: „Denn so die Wahrheit Gottes durch meine Lüge herrlicher wird zu seinem Preis, warum sollte ich denn noch als ein Sünder gerichtet werden und nicht vielmehr also tun, wie wir gelästert werden und wie etliche sprechen, daß wir sagen: 'Lasset uns Übles tun, auf daß Gutes daraus komme?'“ (Röm. 3.6) Man nennt das dann eine 'pia frau', eine fromme Lüge und die Zahl der gefälschten Schenkungsurkunden an die Kirche geht in die Zehntausende. Friedrich Nietzsche nennt das Christentum „die Kunst, heilig zu lügen.“
Der Gott der Philosophen, den man übrig ließ, galt aber der Antike nicht als religiös belangvoll, sondern als eine akademische, außerreligiöse Wirklichkeit. Nur ihn stehen zu lassen und einzig und allein zu ihm sich zu bekennen erschien als Religionslosigkeit, als Leugnung der religio und als Atheismus. In der Atheismus-Verdächtigung, mit der das frühe Christentum zu ringen hatte, wird seine geistige Orientierung, seine Option gegen die religio und ihre wahrheitslose Gewohnheit - einzig für die Wahrheit des Seins, deutlich erkennbar. (S.131)
Wenn christlicher Glaube an Gott zunächst einmal Option für den Primat des Logos, Glaube an die vorausgehende und die Welt tragende Realität des schöpferischen Sinnes ist, so ist er als Glaube an die Personhaftigkeit jenes Sinnes zugleich Glaube daran, dass der Urgedanke, dessen Gedachtsein die Welt darstellt,nicht ein anonymes, neutrales Bewusstsein, sondern Freiheit, schöpferische Liebe, Person ist. Wenn demgemäß die christliche Option für den Logos Option für einen personhaften, schöpferischen Sinn bedeutet, dann ist sie darin zugleich Option für den Primat des Besonderen gegenüber dem Allgemeinen. Das Höchste ist nicht das Allgemeinste, sondern gerade das Besondere, und der christliche Glaube ist so vor allem auch Option für den Menschen als das unreduzierbare, auf Unendlichkeit bezogene Wesen. Und darin ist er noch einmal Option für den Primat der Freiheit gegenüber einem Primat kosmisch-naturgesetzlicher Notwendigkeit. Auf diese Weise tritt nun das Spezifische des christlichen Glaubens gegenüber anderen Entscheidungsformen des menschlichen Geistes in aller Schärfe hervor. Der Ort, den ein Mensch mit dem christlichen Credo bezieht, wird unmissverständlich klar. (S. 146)„die Welt tragende Realität des schöpferischen Sinnes“, „Personenhaftigkeit jenes Sinnes“, „sondern Freiheit, schöpferische Liebe, Person ist“, „Option für den Menschen als das unreduzierbare, auf Unendlichkeit bezogene Wesen“, „Primat kosmisch-naturgesetzlicher Notwendigkeit“, „Intellektualisierung des Glaubens“, „dynamischer Maßstab der Komplexität“, „die eigentliche Geschichtsdynamik des Christlichen“, „die Wirklichkeitsebene des Christentums“, „Dynamik der Sendung“, „die geschichtsbildende Kraft der christlichen Absage an die Götter“ - das ist nur eine Auswahl der Worte, in denen sich dieses hohle, nichtssagende Theologenpathos ausdrückt.
Wenn aber so der Logos allen Seins, das Sein, das alles trägt und umschließt, Bewusstsein, Freiheit und Liebe ist, dann ergibt sich von selbst, dass das Oberste der Welt nicht die kosmische Notwendigkeit, sondern die Freiheit ist. Die Folgen sind sehr weit tragend. Denn das führt ja dazu, dass die Freiheit gleichsam als die notwendige Struktur der Welt erscheint, und dies wieder heißt, dass man die Welt nur als unbegreifliche begreifen kann, dass sie Unbegreiflichkeit sein muss. Denn wenn der oberste Konstruktionspunkt der Welt eine Freiheit ist, welche die ganze Welt als Freiheit trägt, will, kennt und liebt, dann bedeutet dies, dass mit der Freiheit die Unberechenbarkeit, die ihr innewohnt, wesentlich zur Welt gehört. Die Unberechenbarkeit ist ein Implikat der Freiheit; Welt kann - wenn es so steht - nie vollends auf mathematische Logik zurückgeführt werden. Mit dem Kühnen und Großen einer Welt, die von der Struktur der Freiheit gezeichnet ist, ist so aber auch das dunkle Geheimnis des Dämonischen gegeben, das uns aus ihr entgegentritt. Eine Welt, die unter dem Risiko der Freiheit und der Liebe geschaffen und gewollt ist, ist nun einmal nicht bloß Mathematik. Sie ist als Raum der Liebe Spielraum der Freiheiten und geht das Risiko des Bösen mit ein. Sie wagt das Geheimnis des Dunkels um des größeren Lichtes willen, das Freiheit und Liebe sind. (S. 147)Eigentlich sollten Leute, die von der Unterdrückung und Verdummung der Menschheit leben, das Wort „Freiheit“ nicht in den Mund nehmen. Aber der ins Auge gefaßte Leserkreis macht begeistert jeden geistigen Purzelbaum nach. „Risiko der Freiheit und der Liebe“, das klingt einfach zu gut. Und gleichzeitig schiebt man unter, wie die Welt unbegreiflich ist. Wohl gibt es einen allgütigen Gott für uns, aber trotzdem ist unser Lebenslauf weitgehend dem Zufall überlassen.
Mit dem bis jetzt Bedachten haben wir einen Punkt erreicht, an dem das christliche Bekenntnis zu dem einen Gott mit einer Art von innerer Notwendigkeit in das Bekenntnis zum drei-einigen Gott übergeht. Auf der anderen Seite können wir nicht übersehen, dass wir damit einen Bereich berühren, wo christliche Theologie sich ihrer Grenzen mehr bewusst sein muss, als sie es bisher oft gewesen ist; einen Bereich, in dem jede falsche Direktheit all zu genauen Bescheidwissenwollens zur verhängnisvollen Torheit werden muss; einen Bereich, in dem nur das demütige Geständnis des Nichtwissens wahres Wissen und nur das staunende Verbleiben vor dem unfaßbaren Geheimnis rechtes Bekenntnis zu Gott sein kann. Liebe ist immer »Mysterium«: mehr als man berechnen und nachrechnend begreifen kann. Die Liebe selbst - der ungeschaffene, ewige Gott - muss daher im höchsten Maß Geheimnis: das Mysterium selber sein. (S. 150)Das ist eben die nicht zu überbietende christlich Demut und Bescheidenheit. Sie wissen nichts, aber erklären alles. Für die gibt es keine offenen Fragen. Genau daran aber erkennt man eine Ideologie: Das Lehrgebäude ist rundum wasserdicht, das hebelt niemand aus. Wie ja schon Friedrich Nietzsche meinte: „Gegen den Priester hat man nicht Gründe, man hat das Zuchthaus.“ Aber eins ist bis jetzt schon deutlich geworden – der Glaube an Gott wird in dieser Kirche konfessionalisiert, die Verkündigung von Gott professionalisiert und der Umgang mit Gott wird ritualisiert.
Die Geschichte des Monarchianismus [die von der katholischen Kirche verworfene Lehre, wonach die drei Gestalten der Dreieinigkeit die Masken des einen Gottes sind] weist übrigens noch einen anderen Aspekt auf, der hier wenigstens kurz genannt werden soll: Schon in seiner altchristlichen Form und dann von neuem in seiner Wiederaufnahme durch Hegel und Marx enthält er eine ausgesprochen politische Note: Er ist »politische Theologie«. In der alten Kirche dient er dem Versuch, die kaiserliche Monarchie theologisch zu unterbauen; bei Hegel wird er zur Apotheose des preußischen Staatswesens, bei Marx zum Aktionsprogramm für eine heile Zukunft der Menschheit. Umgekehrt ließe sich zeigen, wie in der alten Kirche der Sieg des Trinitätsglaubens über den Monarchianismus einen Sieg über den politischen Missbrauch der Theologie bedeutete: Der kirchliche Trinitätsglaube hat die politisch brauchbaren Modelle gesprengt und damit Theologie als politischen Mythos aufgehoben, den Missbrauch der Verkündigung zur Rechtfertigung einer politischen Situation verneint. (S. 158)Hier will uns einer weismachen, das Christentum hätte nie im Dienst der herrschenden Mächte gestanden, so etwas wie „Thron und Altar“ hätte es nie gegeben. Genau das Gegenteil ist der Fall. Bereits beim ersten Konzil überhaupt, 325, hatte der Kaiser den Vorsitz, der römische Bischof war überhaupt nicht anwesend und so etwas wie einen Papst hätte Konstantin nicht geduldet, er und kein anderer war der Chef. Und bereits 313 hatte eine Synode in Rom getagt – im Kaiserpalast. Das Christentum hatte ja bekanntlich die Aufgabe, das Riesenreich ideologisch zusammenzuhalten und die Autorität des Kaisers zu stützen. Dieser bezeichnete sich ganz ungeniert als „vicarius Christi“ und als 13. Apostel. Ja, der ganze heidnische Kaiserkult – mit Ausnahme der Opfer – wurde beibehalten. Das Papsttum ist erst durch die Ottonen im 10. Jahrhundert groß geworden, in echt christlicher Demut erstrebte es in den Kämpfen gegen das deutsche Königtum des 11. bis 13. Jahrhunderts die Weltherrschaft. Und in neuerer Zeit braucht man nur zu sehen, wie die Kirche die verbrecherischen Regime Mussolinis, Francos, Pavlevicz's, Salazars und Hitlers stützte, um die ganze Verlogenheit dieser frechen Behauptung zu erkennen. Ganz aktuell – der Massenmörder Pinochet als strenggläubiger Katholik. „Selbst bei dem bescheidensten Anspruch auf Rechtschaffenheit muss man heute wissen, dass ein Theologe, ein Priester, ein Papst mit jedem Satz, den er spricht, nicht nur irrt, sondern lügt, - dass es ihm nicht mehr freisteht, aus 'Unschuld', aus 'Unwissenheit' zu lügen.“ (Friedrich Nietzsche)
Dem Physiker wird heute zunehmend bewusst, dass wir die gegebenen Realitäten, etwa die Struktur des Lichts oder die der Materie überhaupt, nicht in einer Form von Experiment und so nicht in einer Form von Aussage umgreifen können, dass wir vielmehr von verschiedenen Seiten her je einen Aspekt zu Gesicht bekommen, den wir nicht auf den anderen zurückführen können. Beides zusammen - etwa die Struktur von Korpuskel und Welle - müssen wir, ohne ein Umgreifendes finden zu können, als Vorgriff auf das Ganze betrachten, das uns als Ganzes in seiner Einheit ob der Beschränkung unseres Blickpunkts nicht zugänglich ist. Was hier im physikalischen Bereich als Folge der Begrenzung unseres Sehvermögens zutrifft, gilt in noch ungleich höherem Maß von den geistigen Wirklichkeiten und von Gott. Auch hier können wir immer nur von einer Seite her hinschauen und so je einen bestimmten Aspekt erfassen, der dem anderen zu widersprechen scheint und der doch nur zusammengehalten mit ihm ein Verweis auf das Ganze ist, das wir nicht zu sagen und zu umgreifen vermögen. Nur im Umkreisen, im Sehen und Sagen von verschiedenen, scheinbar gegensätzlichen Aspekten her gelingt uns das Hinüberweisen auf die Wahrheit, die uns doch nie in ihrer Gänze sichtbar wird. (S. 161)Nun wird es nachgerade peinlich. Einer, der nicht die einfachste Aufgabe der Differentialrechnung lösen könnte, operiert mit Begriffen wie Licht, Materie, Korpuskel und Welle. Eine armselige Theologie, die Anleihen beim Physiker nehmen muß! Aber um Gottes Ehre zu erhöhen, geht es noch weiter:
Wir begegnen hier der verborgenen Wechselwirkung von Glaube und modernem Denken. Dass heutige Physik über das Gefüge der aristotelischen Logik hinausgehend in dieser Weise denkt, ist doch wohl auch schon Auswirkung der neuen Dimension, die die christliche Theologie eröffnet hat, ihres notwendigen Denkenmüssens in Komplementaritäten. (S. 162)Wieder so eine Frechheit – die Physik profitiert vom theologischen Denken. Die grundsätzliche Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche ist oft und deutlich genug gezeigt worden. Hier ein Beispiel aus jüngster Zeit. Stephan Hawkin berichtet uns, was Johannes Paul II. 1981 bei einer Audienz anläßlich einer Kosmologie-Konferenz der Jesuiten im Vatikan sagte: „Er sagte uns, es spreche nichts dagegen, daß wir uns mit der Entwicklung des Universums nach dem Urknall beschäftigten, wir sollten aber nicht den Versuch unternehmen, den Urknall selbst zu erforschen, denn er sei der Augenblick der Schöpfung und damit das Werk Gottes. Ich war froh, daß ihm der Gegenstand des Vortrags unbekannt war, den ich gerade auf der Konferenz gehalten hatte: die Möglichkeit, daß die Raumzeit endlich sei, aber keine Grenze habe, was bedeuten würde, daß es keinen Anfang, keinen Augenblick der Schöpfung gibt. Ich hatte keine Lust, das Schicksal Galileis zu teilen.“
Der Bindestrich zwischen Jesus und Christus, die Trennungslosigkeit von Person und Werk, die Identität eines Menschen mit dem Akt der Hingabe - sie bedeuten auch den Bindestrich zwischen Liebe und Glauben. Denn das Ich Jesu, seine Person, die nun allerdings ganz in den Mittelpunkt rückt, hat doch seine Eigentümlichkeit darin, dass dieses Ich in keiner verselbständigten Abschließung steht, sondern gänzlich Sein vom Du des Vaters her und Sein für das Ihr der Menschen ist. Es ist Identität von Logos (Wahrheit) und Liebe und macht so die Liebe zum Logos, zur Wahrheit des menschlichen Seins. Der Glaube, der von einer so verstandenen Christologie gefordert wird, hat folglich sein Wesen darin, Eingehen in die universale Offenheit bedingungsloser Liebe zu sein. Denn an einen so verstandenen Christus glauben bedeutet einfach, die Liebe zum Inhalt des Glaubens zu machen, sodass man von da aus geradezu wird sagen dürfen: Liebe ist Glaube. (S. 196)„Universelle Offenheit bedingungsloser Liebe“, der Autor liebt die starken Worte, auch „radikal“, „absolut“, „reine Aktualität“, „reine Objektivität“, „totale Logik“, „die Widerfahrnis des Geistes“, „Freiheit“, „Wahrheit“, „Liebe“, „das persönliche Abenteuer der Wahrheit“, „totale Offenheit“, „das primäre Scandalum des Glaubens“, „die Unberührbarkeit der Menschenwürde“, „göttliches Geheimnis“ usw. usw. - geistige Dreifachsaltos wechseln sich mit dem Werfen von Nebelbomben ab. Die Offenbarung Gottes ist endgültig abgeschlossen und die katholische Kirche ist der Nachlaßverwalter.
Anselm von Canterbury (ca. 1033-1109) war es darum gegangen, das Werk Christi mit notwendigen Gründen (rationibus necessariis) abzuleiten und so unwiderleglich zu zeigen, dass dies Werk gerade so geschehen musste, wie es tatsächlich geschah. In großen Linien ließe sich sein Gedanke so wiedergeben: Durch die Sünde des Menschen, die sich gegen Gott richtete, wurde die Ordnung der Gerechtigkeit unendlich verletzt, Gott unendlich beleidigt. Dahinter steht die Vorstellung, dass sich das Ausmaß der Beleidigung nach dem Beleidigten richtet; es hat andere Folgen, wenn ich einen Bettler als wenn ich den Staatspräsidenten beleidige. Je nach dem Adressaten hat die Beleidigung ein anderes Gewicht. Da Gott der Unendliche ist, hat auch die Beleidigung, die ihm von der Menschheit in der Sünde zugefügt wurde, unendliches Gewicht. Das solchermaßen verletzte Recht muss wiederhergestellt werden, weil Gott ein Gott der Ordnung und der Gerechtigkeit, ja, die Gerechtigkeit selber ist. Entsprechend dem Maß der Beleidigung ist aber eine unendliche Wiedergutmachung nötig. Dazu ist der Mensch jedoch nicht imstande. Er kann unendlich beleidigen, dazu reicht sein Vermögen, aber er kann nicht unendliche Gutmachung erbringen: was er, der Endliche, gibt, wird immer nur endlich sein. Seine Kraft des Zerstörens reicht weiter als seine Fähigkeit, aufzubauen. So aber muss zwischen allen Wiedergutmachungen, die der Mensch versuchen wird, und der Größe seiner Schuld ein unendlicher Abstand bleiben, den er nie überbrücken kann: Jede Geste der Sühne kann ihm nur die Ohnmacht beweisen, den unendlichen Abgrund zu schließen, den er selbst aufgerissen hat.Eine fürwahr kühne Konstruktion! Selbst der Autor sieht, wie dieses göttlich-menschliche Rechtssystem „mit seiner ehernen Logik das Gottesbild in ein unheimliches Licht tauchen kann.“ Diese Form von Sophismus ist nun aber gottlob überholt, er verspricht flugs eine neue Deutung. Da sage noch einer, daß die Theologie keine Wissenschaft sei, die sich nicht weiterentwickeln kann!
Soll also die Ordnung für immer zerstört, der Mensch ewig in den Abgrund seiner Schuld eingeschlossen bleiben? An dieser Stelle stößt Anselm auf die Gestalt Christi vor. Seine Antwort lautet: Gott selber bereinigt das Unrecht, aber nicht (wie er es könnte) in einer einfachen Amnestie, die das Geschehene doch nicht von innen her überwinden kann, sondern dadurch, dass der Unendliche selbst Mensch wird und dann als Mensch, der dem Geschlecht der Beleidiger zugehört und der dennoch die dem bloßen Menschen versagte Kraft unendlicher Wiedergutmachung besitzt, die erforderte Sühne leistet. So geschieht die Erlösung ganz aus Gnade und zugleich ganz als Herstellung des Rechts. Anselm glaubte damit die schwere Frage des »Cur Deus homo?«, die Frage nach dem Warum der Menschwerdung und des Kreuzes, zwingend beantwortet zu haben; seine Anschauung hat das zweite Jahrtausend der abendländischen Christenheit entscheidend geprägt; für sie galt, dass Christus am Kreuze sterben musste, um die unendliche Beleidigung gutzumachen, die geschehen war, und solchermaßen die verletzte Ordnung wiederherzustellen. (S. 218)
Damit stehen wir unvermittelt wieder beim Kreuzes- und Ostergeheimnis, das ja von der Bibel als ein Geheimnis des Übergangs begriffen wird. Johannes, der diese Gedanken vor allem reflektiert hat, schließt seine Darstellung des irdischen Jesus mit dem Bild der Existenz, deren Wände aufgerissen sind, die keine festen Grenzen mehr kennt, sondern wesentlich Offensein ist. »Einer von den Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus« (Jo 19, 34). Im Bild der durchbohrten Seite gipfelt für Johannes nicht nur die Kreuzesszene, sondern die ganze Geschichte Jesu. Nun, nach dem Lanzenstich, der sein irdisches Leben beendet, ist seine Existenz ganz offen; nun ist er gänzlich »Für«, nun ist er wahrhaft nicht mehr ein Einzelner, sondern »Adam«, aus dessen Seite Eva, eine neue Menschheit gebildet wird. Jene tiefe Darstellung des Alten Testaments, wonach die Frau aus der Seite des Mannes genommen ist (Gn 2,21 ff), womit ihrer beider immerwährende Verwiesenheit aufeinander und ihre Einheit im einen Menschsein unnachahmlich groß ausgesagt wird - jene Geschichte also scheint hier in der Wiederaufnahme des Wortes »Seite« (zu Unrecht meist mit »Rippe« übersetzt) anzuklingen. Die offene Seite des neuen Adam wiederholt das Schöpfungsgeheimnis der »offenen Seite« des Mannes: Sie ist der Anfang einer neuen, definitiven Gemeinschaft der Menschen miteinander; als ihre Symbole stehen hier Blut und Wasser, womit Johannes auf die christlichen Grundsakramente Taufe und Eucharistie und durch sie hindurch auf die Kirche als das Zeichen der neuen Gemeinschaft der Menschen verweist. Der ganz Eröffnete, der das Sein ganz als Empfangen und Weitergeben vollzieht, ist damit sichtbar als das, was er im Tiefsten immer war: als »Sohn«. So ist Jesus am Kreuz wahrhaft in seine Stunde eingetreten, wie wiederum Johannes sagt. Diese rätselhafte Redeweise dürfte von hier aus einigermaßen verständlich werden. (S. 226)Johannes, der zeitlich Letzte der vier Evangelisten ist der Liebling der Theologen. Dieses nicht vor dem Jahr 100 geschriebene Evangelium wurde bereits im zweiten Jahrhundert im Sinne der kommenden Kirche gründlich überarbeitet. Jesuszitate sind selten, die Vorstellung vom „ewigen Leben“ wird wichtiger als das „Reich Gottes [auf Erden]“, Jesus selbst wird mehr und mehr vergöttlicht, seine Wunder sind bei Johannes am größten. Es ist klar, daß der Autor ihn am meisten zitiert, 36 mal und die Synoptiker insgesamt nur 26 mal.
Damit kommen wir nun zur Ausgangsfrage zurück und können jetzt sagen: Kirche und Christsein haben es mit dem so verstandenen Menschen zu tun. Sie würden funktionslos, wenn es nur die Mensch-Monade, das Wesen des »Cogito, ergo sum« gäbe. Sie sind bezogen auf den Menschen, der Mitsein ist und nur in den kollektiven Verflechtungen besteht, die aus dem Prinzip der Leibhaftigkeit folgen. Kirche und Christentum überhaupt sind um der Geschichte willen da, der kollektiven Verstrickungen wegen, die den Menschen prägen; sie sind auf dieser Ebene zu verstehen. Ihr Sinn ist es, Dienst für die Geschichte als Geschichte zu tun und das kollektive Gitter aufzubrechen oder zu verwandeln, das den Ort menschlicher Existenz bildet. Nach der Darstellung des Epheserbriefes bestand das Heilswerk Christi gerade darin, dass er die Mächte und Gewalten in die Knie zwang, in denen Origenes in weiterführender Deutung dieses Textes die kollektiven Mächtigkeiten sah, die den Menschen umklammern: die Macht des Milieus, der nationalen Tradition; jenes »Man«, das den Menschen niederhält und zerstört. Kategorien wie Erbsünde, Auferstehung des Fleisches, Weltgericht usw. sind überhaupt nur von hier aus zu verstehen, denn der Sitz der Erbsünde ist eben in diesem kollektiven Netz zu suchen, das als geistige Vorgegebenheit der einzelnen Existenz vorausgeht, nicht in irgendeiner biologischen Vererbung zwischen lauter sonst völlig getrennten Einzelnen. Von ihr zu reden besagt eben dies, dass kein Mensch mehr am Punkt Null, in einem »status integritatis« (= von der Geschichte völlig unversehrt), anfangen kann. Keiner steht in jenem unversehrten Anfangszustand, in dem er nur frei sich auszuwirken und sein Gutes zu entwerfen brauchte; jeder lebt in einer Verstrickung, die ein Teil seiner Existenz selber ist. Weltgericht wiederum ist die Antwort auf diese kollektiven Verflechtungen. Auferstehung drückt den Gedanken aus, dass Unsterblichkeit des Menschen nur im Miteinander der Menschen, im Menschen als dem Wesen des Miteinander bestehen und gedacht werden kann, wie später noch näher zu bedenken sein wird. Schließlich hat auch der Begriff Erlösung, wie schon vorhin gesagt wurde, nur auf dieser Ebene seinen Sinn; er bezieht sich nicht auf ein losgelöstes monadisches Geschick des Einzelnen. Wenn also die Wirklichkeitsebene des Christentums hier zu suchen ist, in einem Bereich, den wir mangels eines besseren Wortes zusammenfassend als den der Geschichtlichkeit kennzeichnen können, so können wir nun weiter verdeutlichend sagen: Christsein ist seiner ersten Zielrichtung nach nicht ein individuelles, sondern ein soziales Charisma. Man ist nicht Christ, weil nur Christen ins Heil kommen, sondern man ist Christ, weil für die Geschichte die christliche Diakonie Sinn hat und vonnöten ist. (S. 233)Wie sind nun mittlerweile bei der Erlösung angekommen. Die ergibt aber nur dann einen Sinn, wenn man die Paulussche Erfindung der Erbsünde akzeptiert. Danach kommt jedes Kind als mit der Erbsünde belastet auf die Welt, woraus sich die Notwendigkeit der Erlösung aller Menschen ergibt. Man könnte es auch Sippenhaft nennen. Jesus von Nazareth selbst hat dergleichen nie gesagt, es war Augustin, der im Pelagianischen Streit 431 diese Lehre festklopfte. Und zum Dogma wurde die Erbsünde erst im 16. Jahrhundert.
Die Geburt Jesu aus der Jungfrau, von der solchermaßen in den Evangelien berichtet wird, ist den Aufklärern aller Art nicht erst seit gestern ein Dom im Auge. Quellenscheidungen sollen das neutestamentliche Zeugnis minimalisieren, der Hinweis auf das unhistorische Denken der Alten soll es ins Symbolische abschieben und die Einordnung in die Religionsgeschichte es als Variante eines Mythos ausweisen. Der Mythos von der wunderbaren Geburt des Retterkindes ist in der Tat weltweit verbreitet. Eine Menschheitssehnsucht spricht sich in ihm aus: die Sehnsucht nach dem Herben und Reinen, das die unberührte Jungfrau verkörpert; die Sehnsucht nach dem wahrhaft Mütterlichen, Bergenden, Reifen und Gütigen und endlich die Hoffnung, die immer wieder aufsteht, wo ein Mensch geboren wird - die Hoffnung und Freude, die ein Kind bedeutet. Man wird es als wahrscheinlich ansehen dürfen, dass auch Israel Mythen dieser Art gekannt hat; Jes 7,14 (»Siehe, die Jungfrau wird empfangen ... «) könnte durchaus sich als Aufgreifen einer solchen Erwartung erklären, auch wenn aus dem Wortlaut dieses Textes nicht ohne weiteres hervorgeht, dass dabei an eine Jungfrau im strengen Sinne gedacht ist. Wenn der Text von solchen Ursprüngen her zu verstehen wäre, würde das heißen, dass auf diesem Umweg das Neue Testament die verworrenen Hoffnungen der Menschheit auf die Jungfrau-Mutter aufgenommen hätte; einfach bedeutungslos ist ein solches Urmotiv der menschlichen Geschichte sicher nicht. (S. 257)Mittlerweilen ist nun schon klar geworden: Weder inhaltlich noch liturgisch gibt es etwas im Christentum, was es nicht auch schon in den sog. heidnischen Religionen gab. Ausnahmen: Inquisition, Hexenverbrennungen und der Begriff „gerechter Krieg“, der nicht von Lenin, sondern vom Hl. Augustin stammt. Aber das hier ist einfach köstlich: Im Original ist nämlich von einer alma = junge Frau die Rede. Eine fehlerhafte Übersetzung machte daraus eine Jungfrau und bei Matthäus wird daraus eine reale Jungfrauengeburt und das müssen die Gläubigen auch glauben, wenn sie in den Himmel kommen wollen. Hier, wo der Leserkreis erleuchteter ist, deutet er den wahren Sachverhalt wenigstens an. Aber warum wird der Irrtum eigentlich nicht korrigiert? Um mit den Worten des Autors zu sprechen „die Frage zielt ins Leere“, denn die Kirche hat es so gelehrt und die Kirche kann sich nicht irren. Punkt.
Es sollte eigentlich keiner eigenen Erwähnung bedürfen, dass all diese Aussagen Bedeutung nur haben unter der Voraussetzung, dass das Geschehnis sich wirklich zugetragen hat, dessen Sinn ans Licht zu heben sie sich mühen. Sie sind Deutung eines Ereignisses; nimmt man dies weg, so werden sie zu leerem Gerede, das man dann nicht nur als unernst, sondern auch als unehrlich bezeichnen müsste. Im Übrigen liegt über solchen Versuchen, so gut sie mitunter gemeint sein mögen, eine Widersprüchlichkeit, die man beinahe als tragisch bezeichnen möchte: (S. 262)Ich gestehe, dieser Absatz ist mir einer der rätselhaftesten überhaupt. Unmittelbar vorher war von der Geburt Jesu die Rede. Und im nachfolgenden Absatz wird zur Mariologie übergeleitet. Warum wird nun hier nach dem Ereignis selbst, der jungfräulichen Geburt, gefragt? Soll hier ein vorsichtiger Paradigmenwechsel vorbereitet werden, des Inhalts, daß die Geburt und die Umstände derselben nicht so wichtig sind? Oder ist es die Scheinfrage eines seiner Leserschaft sicheren Autors? Lassen wir doch einfach dieses Geheimnis auf sich selbst beruhen.
Die Rede von der Himmelfahrt bedeutet unserer von Bultmann kritisch erweckten Generation zusammen mit derjenigen vom Höllenabstieg den Ausdruck jenes dreistöckigen Weltbildes, das wir mythisch nennen und für definitiv überwunden ansehen. Die Welt ist »oben« und »unten« überall nur Welt, überall von den selben physikalischen Gesetzen regiert, überall grundsätzlich auf dieselbe Art erforschbar. Sie hat keine Stockwerke, und die Begriffe »oben« und »unten« sind relativ, abhängig vom Standort des Beobachters. Ja, da es keinen absoluten Bezugspunkt gibt (und die Erde ganz gewiss keinen solchen darstellt), kann man im Grund überhaupt nicht mehr von »oben« und »unten« - oder auch von »links« und »rechts« sprechen; der Kosmos weist keine festen Richtungen mehr auf. Niemand wird heute im Ernst mehr solche Einsichten bestreiten wollen. Eine örtlich verstandene Dreistöckigkeit der Welt gibt es nicht mehr. (S. 293)Das hatte sich aber 25 Jahre später in Paderborn noch nicht herumgesprochen. 1990 führte Eugen Drewermann mit einem Erzbischof und zwei Theologen ein mehrstündiges Gespräch, in dem allen Ernstes die Frage gestellt wurde, ob man die Himmelfahrt Jesu hätte fotografieren können. Und der Herr Erzbischof weiß es nicht! Völlig zu Recht bezeichnet Drewermann diese Veranstaltung als ein surrealistisches Kabarett (Eugen Drewermann „Worum es eigentlich geht“ Kösel-Verlag). Und an anderer Stelle spricht er gar von dem Menschen, der „... nur in der Naivität seiner Kinderjahre sich als die Mitte des Universums ansehen konnte, ...“ (S. 49) Nun, für die katholische Kirche sind die Kinderjahre erst seit kurzem vergangen.
Deshalb ist Himmel immer mehr als ein privates Einzelgeschick; er hängt notwendig mit dem »letzten Adam«, mit dem endgültigen Menschen, und demgemäß notwendig mit der Gesamtzukunft des Menschen zusammen. Ich glaube, dass von hier aus wieder einige wichtige hermeneutische Einsichten zu gewinnen wären, die in diesem Zusammenhang freilich nur andeutungsweise genannt werden können. Eine der auffälligsten Gegebenheiten des biblischen Befundes, wovon Exegese und Theologie seit etwa einem halben Jahrhundert zutiefst bedrängt und umgetrieben werden, bildet die so genannte Naheschatologie, das will sagen: In der Botschaft Jesu und der Apostel sieht es so aus, als würde das Weltende als unmittelbar bevorstehend angekündigt. Ja, man kann den Eindruck gewinnen, dass die Botschaft vom nahen Ende sogar der eigentliche Kern der Predigt Jesu und der beginnenden Kirche gewesen sei. Die Gestalt Jesu, sein Tod und seine Auferstehung werden in einer Weise mit dieser Vorstellung in Verbindung gebracht, die uns ebenso befremdlich wie unverständlich ist. Selbstverständlich kann hier nicht im Einzelnen auf den weit erstreckten Fragebereich eingegangen werden, der damit berührt ist. Aber ist nicht mit unseren letzten Überlegungen der Weg sichtbar geworden, auf dem dafür die Antwort gesucht werden kann? Wir haben Auferstehung und Himmelfahrt beschrieben als das endgültige Ineinandertreten des Wesens Mensch mit dem Wesen Gott, das dem Menschen die Möglichkeit immerwährenden Seins eröffnet. Wir haben beides zu verstehen versucht als das Stärkersein der Liebe gegenüber dem Tod und so als die entscheidende »Mutation« von Mensch und Kosmos, in der die Biosgrenze aufgebrochen und ein neuer Daseinsraum geschaffen ist. Wenn das alles zutrifft, dann bedeutet es den Beginn der »Eschatologie«, des Weltendes. Mit der Überschreitung der Todesgrenze ist die Zukunftsdimension der Menschheit eröffnet, ihre Zukunft hat in der Tat schon begonnen. (S. 296)Darüber gibt es nun keinen Zweifel, die ersten Christen glaubten fest an das Ende der Welt, also an das Gottesreich auf Erden. Noch Paulus spricht in 1. Kor. 15.51 davon. Aber Paulus war es auch, der diese Goldader entdeckte, die man Christentum nennt. Als nun aber die Zeit verging und Jesus Christus nicht erschien, wurde kurzerhand die Theorie geändert: Jesus kommt jetzt nicht mehr auf die Erde zurück, sondern wir kommen im Tod zu ihm. Noch in 1. Thes 5.1 kommt er zu uns, aber schon in 2. Thes 2.3 verleugnet Paulus den 1. Brief. Inwieweit und ob der 2. Thessalonikerbrief eine Fälschung ist, ist noch umstritten.
»Zu richten die Lebendigen und die Toten« - das heißt im Übrigen auch, dass niemand sonst als Er im Letzten zu richten hat. Damit ist gesagt, dass das Unrecht der Welt nicht das letzte Wort behält, auch nicht dadurch, dass es in einem allgemeinen Gnadenakt gleichgültig ausgelöscht wird; da ist vielmehr eine letzte Appellationsinstanz, die das Recht wahrt, um so die Liebe vollziehen zu können. Eine Liebe, die das Recht zerstören würde, würde Unrecht schaffen, damit aber nur mehr eine Karikatur von Liebe sein. Wahre Liebe ist Überschuss an Recht, Überfluss über das Recht hinaus, aber nie Zerstörung des Rechts, das die Grundgestalt der Liebe sein und bleiben muss.Recht verstanden ist das Jüngste Gericht keine allgemeine Amnestie, denn auch vor Gott muß Recht bleiben, was Recht ist. Das ist eine Warnung an alle, die ihre Kirchensteuer nicht richtig bezahlen. Und der liebe Gott ist ihm sicher für diesen Hinweis dankbar. Aber wie konnte dieser extreme Gegensatz entstehen zwischen der freudigen Erwartung und dem Tag des Schreckens, beide das Jüngste Gericht betreffend? Der Autor spricht von einer „Fehlentwicklung“. Es es klar, die Kirche hat aus Letzterem mehr materiellen Nutzen gezogen. („Tausche Weinberg gegen das ewige Leben.“) Wer Jesu unmittelbar bevorstehende Wiederkunft erwartet, lebt so, wie dieser es vorgelebt hat und kümmert sich nicht um das Geschwätz der Pfaffen, die es zu dieser Zeit noch gar nicht geben konnte. Anders dann im Mittelalter: Da wurde man nicht müde, die schrecklichen Höllenstrafen der Gottlosen bildlich auszumalen. Und der große Thomas von Aquin – wir haben es schließlich mit der Religion der Liebe und Vergebung zu tun – schreibt, daß es die größte Freude der Gerechten im Himmel sein wird, zuzusehen, wie die Bösen unten in der Hölle leiden müssen. Für die weniger Erleuchteten hat man solche Szenen an die Kirchenwände gemalt.
Freilich muss man sich auch vor dem gegenteiligen Extrem hüten. Man kann nicht bestreiten, dass der Artikel vom Gericht sich im christlichen Bewusstsein zeitweise zu einer Form entwickelt hat, in der er praktisch zur Zerstörung des vollen Erlösungsglaubens und der Verheißung der Gnade führen musste. Als Beispiel dafür verweist man immer wieder auf den tief gehenden Gegensatz zwischen »Maran atha« und »Dies irae«. Das Urchristentum hat mit seinem Gebetsruf »Unser Herr, komm!« (Maran atha) die Wiederkunft Jesu als ein Ereignis voll Hoffnung und Freude ausgelegt, sich verlangend nach ihm als dem Augenblick der großen Erfüllung ausgestreckt. Für den Christen des Mittelalters hingegen erschien jener Augenblick als der Schrecken erregende »Tag des Zornes« (Dies irae), vor dem der Mensch in Weh und Schrecken vergehen möchte, dem er mit Angst und Grauen entgegenblickt. Die Wiederkunft Christi ist nur noch Gericht, Tag der großen Abrechnung, die einen jeden bedroht. In einer solchen Sicht wird Entscheidendes vergessen; das Christentum erscheint praktisch auf den Moralismus reduziert und wird so jenes Atems der Hoffnung und der Freude beraubt, der seine eigentlichste Lebensäußerung ist. (S. 308)
Die wirklich Glaubenden messen dem Kampf um die Reorganisation kirchlicher Formen kein allzu großes Gewicht bei. Sie leben von dem, was die Kirche immer ist. Und wenn man wissen will, was Kirche eigentlich sei, muss man zu ihnen gehen. Denn die Kirche ist am meisten nicht dort, wo organisiert, reformiert, regiert wird, sondern in denen, die einfach glauben und in ihr das Geschenk des Glaubens empfangen, das ihnen zum Leben wird. Nur wer erfahren hat, wie über den Wechsel ihrer Diener und ihrer Formen hinweg Kirche die Menschen aufrichtet, ihnen Heimat und Hoffnung gibt, eine Heimat, die Hoffnung ist: Weg zum ewigen Leben - nur wer dies erfahren hat, weiß, was Kirche ist, damals und heute. (S. 326)Den wirklich Glaubenden ist es gleichgültig, welchen Blödsinn ihre Kirchenoberen als göttliche Wahrheit ausgeben und wie das versteinerte kirchliche System organisiert ist, wie sich das irdische Wohlleben der Prälaten gestaltet. (Der Gläubige fährt S-Bahn, der Bischof S-Klasse). Sie haben ja ihren Glauben, mehr braucht es nicht. Was kümmern uns da solche Themen wie Priesterehe, Frauen im Priesteramt, Befreiungstheologie, Empfängnisverhütung, Abtreibung, Sterbehilfe u.a.? Und schließlich gilt in der katholischen Bürokratie wie in jeder anderen: „Das haben wir schon immer so gemacht – das haben wir noch nie so gemacht – Da könnte doch jeder kommen.“
Sie [die katholische Kirche] soll in der zerrissenen Welt Zeichen und Mittel der Einheit sein, Nationen, Rassen und Klassen überschreiten und vereinen. Wie sehr sie auch darin immer wieder versagt hat, wissen wir: Schon im Altertum fiel es ihr unendlich schwer, Kirche der Barbaren und der Römer in einem zu sein; in der Neuzeit vermochte sie den Streit der christlichen Nationen nicht zu hindern, und heute gelingt es ihr noch immer nicht, Reiche und Arme so zu verbinden, dass der Überfluss der einen zur Sättigung der anderen wird - das Zeichen der Tischgemeinschaft bleibt weithin unerfüllt. Und trotzdem darf man auch hier nicht verkennen, was der Anspruch der Katholizität immer wieder an Imperativen aus sich entlassen hat; vor allem aber sollten wir, statt mit der Vergangenheit abzurechnen, uns dem Ruf der Gegenwart stellen und in ihr versuchen, Katholizität nicht nur im Credo zu bekennen, sondern im Leben unserer zerrissenen Welt zu verwirklichen. (S. 328)Also nach vorn blicken und nicht mehr an die unendlich vielen Verbrechen der Catholica denken. „Sie vermochte den Streit der christlichen Nationen nicht zu hindern?“ Das ist eine freche Schutzbehauptung, denn die Kirche lebt auch vom Krieg. „Die geschichtlichen Tatsachen lehren, daß uns der Krieg mehr Nutzen bringt als der Friede.“, das sagte der Kirchenvater Theodoret im 4. Jahrhundert. Wer noch Krieg und Nachkrieg erlebt hat, wird ihm recht geben. Schauen wir uns doch mal den 1. Weltkrieg an: Die französischen Bischöfe segnen die Waffen und erklären den Soldaten, daß sie für Gott und Jesus Christus kämpfen. Die italienischen Bischöfe segnen die Waffen und erklären den Soldaten, daß sie für Gott und Jesus Christus kämpfen. Die deutschen Bischöfe segnen die Waffen und erklären den Soldaten, daß sie für Gott und Jesus Christus kämpfen. Und ihr gemeinsamer Chef, der Papst, was tut der? Er schickt pausenlos Friedensapelle in die Welt und beklagt sein „Martyrium der Neutralität“ - kann man diese Heuchelei noch überbieten? Nach dem Krieg, vier Monarchien waren verschwunden und in Rußland herrschte der gottlose Kommunismus, sagten Leute, die es wissen mußten, daß der Einzige, der gut über den Krieg gekommen ist, der Papst sei. Und heute entblödet man sich nicht, Benedikt XV. als „Friedenspapst“ zu bezeichnen, die 10 Millionen Toten werden im Himmel für ihn beten.